Aus der Perspektive der quantitativen Logistik, stellen finanzielle Treiber die wirtschaftliche Quantifizierung der positiven und negativen Ergebnisse von Entscheidungen bezüglich der Lieferkette dar. Finanzielle Treiber verwandeln Herausforderungen im Bereich der Lieferkette in überschaubare Optimierungsprobleme; bei denen die Optimierungsmetrik finanzieller Natur ist. Die Quantifizierung der finanziellen Treiben ermöglicht, die
Fehler in Euro, die auf mangelhafte Entscheidungen auf Grundlage mangelhafter Daten, wie etwa Bedarfsprognosen, zurückzuführen sind, zu bewerten. Diese finanziellen Treiber werden als Gegensatz zu den weitverbreiteten unternehemensferne Kennzahlen, wie MAPE (mittlerer absoluter prozentualer Fehler) eingeführt. Diese unternehemensferne Kennzahlen sind oft schädlich, da sie die Probleme der Lieferkette als numerische Optimierungsprobleme "maskieren" und sich dabei Großteils auf zufällige Optimierungskriterien stützen.
Notwendig, da statistische Prognosen eingeschränkt sind
Tools und Methoden zur Bedarfsprognose haben ein klares Ziel:
genauere Prognosen zu berechnen. Die Genauigkeit der Prognosen wird anhand verschiedener bewährter Kennzahlen aus mathematischer und statistischer Sicht bestimmt. Auch wenn diese Kennzahlen aus einer mathematischen Perspektive hervorragend sein mögen, ignorieren sie von Grund auf Industriesparten, sowie jegliche unternehmensspezifische Treiber oder Einschränkungen.
Obwohl es nicht sehr intuitiv erscheinen mag,
richten sich statistische Prognosen grundsätzlich nach der auserwählten Methode zur Fehlerermittlung. So hat die Wahl von MSE (mittleren quadratischen Abweichung) statt MAE (mittleren absoluten Fehler) entscheidende Folgen für die Genauigkeit eines bestimmten Models. Auf den ersten Blick scheint die Fehlermetrik keine große Bedeutung zu haben. Schließlich erzeugt jedes Prognosemodell dieselbe Bedarfsprognose, unabhängig der Metrik, die im Nachhinein zur Überprüfung des Ergebnisses angewandt wird. Doch jedes Unternehmen, das sich auf statistische Prognosen verlässt, steht vor der, oft impliziten, Entscheidung, welches Prognosemodell zu benutzen. Werden dann Genauigkeitsmessungen eingeführt, bevorzugt das Unternehmen Modelle, die sich in Bezug auf die oben genannten Metriken besser verhalten.
Generische statistische Metriken (z.B.: MAPE, MAE, MSE, usw.) sind nicht unternehmensbezogen. Vereinfacht bedeutet das, dass sie sich um den
Fehlerprozentsatz und nicht um die
Fehlereuro drehen. Obwohl die Minimierung vom
Fehlerprozentsatz etwas Positives sein kann, gibt es leider auch viele Gegenbeispiele dafür (s. untere Beispiele). Statistik bietet keine Garantien, dass die Folgen einer Entscheidung auf Grundlage einer Prognose finanziell betrachtet optimal oder gar rentabel sind. In manchen Fällen
korrelieren finanzielle Treiber schwach mit generischen statistischen Messungen, doch dies geschieht eher „zufällig“ und der Zufall stellt keinen guten Ausgangspunkt für die Optimierung der Lieferkette dar. Dieses Problem verschärft sich in der Praxis aufgrund der nicht intuitiven Eigenschaft reiner statistischer Berechnungen, die in den meisten Fällen von den Leistungskennzahlen abweichen.
Beispiel: Gehen wir davon aus, dass von einem Produkt durchschnittlich 1 Einheit wöchentlich mit einer Durchlaufzeit von 1 Tag (tägliche Wiederauffüllung) verkauft wird. Die beste Mittelwertprognose für einen beliebigen Tag sind null Einheiten. Hingegen könnte eine Prognose vom Durchschnitt die Menge 1/7 ergeben, doch die Mittelwertprognose ergibt Null. Obwohl der tägliche Bedarf, der gedeckt werden muss, näher bei Null liegt, ist der tatsächlich notwendige Bestand, um die Nachfrage der Kunden zu decken viel höher. So sind wahrscheinlich 2 oder 3 Einheiten nötig, um den Erwartungen der Kunden, was die Qualität der Dienstleistung betrifft, gerecht zu werden. Das Problem liegt nicht in der Ungenauigkeit der Prognose, da bei einer stationären und zufälligen Nachfrage die genannten Prognosen aus einer statistischen Perspektive sehr genau sind. Es dreht sich vielmehr darum, dass die spezifischen finanziellen Treiber ignoriert werden.
Trennung von Prognosen und Optimierung der Lieferkette
Finanzielle Treiber stellen eine bestimmte Gliederung der Herausforderungen dar, die bei der Optimierung der Lieferkette auftreten, bei denen unternehmensspezifische Aspekte - d.h. finanzielle Treiber - von den unternehmensunabhängigen Aspekten - d.h., den reinen statistischen Prognosen - getrennt werden. In diesem Abschnitt bieten wir einen kurzen Überblick der Vorteile dieser Gliederung, sowie ihrer Grenzen.
Was die numerische Optimierung betrifft, lautet ein allgemeiner Grundsatz, dass die Optimierung des Problems als Ganzes immer wünschenswerter ist, als die Optimierung von isolierten Teilen des Problems. Dennoch ist dieses Prinzip nur insofern stimmig, wenn eine ganzheitliche Behandlung des Optimierungsproblems aus technischer Sicht möglich ist.
Doch die gesamte Literatur zur Lieferkette -sowie dieser Abschnitt auch- ist sich darüber einig, dass Bedarfsprognosen einen komplizierten Vorgang beschreiben, in dem Statistik, Algorithmen, Softwareentwicklung und womöglich auch Verteiltes Rechnen, wenn eine Cloud Computing-Plattform im Spiel ist, kombiniert werden. Daher bietet die Isolierung der Bedarfsprognose aus dem Problem die Möglichkeit, erweiterte Prognosen zu liefern, ohne der Technologie zusätzliche branchenspezifische Aspekte aufzubürden.
Ein ähnlicher Vorteil entsteht auch bei der Isolierung der Logik zur Optimierung der Lieferkette von der der Bedarfsprognose, da die Optimierung der Lieferkette von den technischen Einzelheiten der Bedarfsprognose „verschont“ bleibt. Dies ermöglicht auch einen viel tieferen Einblick in die Details der finanziellen Treiber: Obergrenzen des Lagerfläche, Preisnachlässe, unterschiedliche Kosten von Fehlbeständen, unterschiedliche Kosten von Obsoleszenz, etc. Ein näheres Verständnis der finanziellen Treiber führt zu besseren Entscheidungen im Einklang mit den Chancen und Risiken des Unternehmens.
Beispiel. Gehen wir von einem Unternehmen aus, das über zwei Lagerhallen verfügt, und dieselben Teile aus beiden Lagerhallen bezieht. Beide Lagerhallen sind nicht weit voneinander entfernt, doch die meisten Kunden bestellen, wie gewohnt, die Teile aus derselben Lagerhalle. Ist ein Teil in einem Lager nicht mehr vorhanden, ruft das Personal im anderen Lager an, um die Verfügbarkeit dort zu überprüfen. Ist das Teil dort verfügbar, wird es zum Lager, in dem das Teil nicht vorrätig ist, geliefert.
Ein Fall für probabilistische Prognosen
Wie wir in den vorangegangenen Abschnitten gesehen haben, bietet die Abspaltung von Bedarfsprognosen und Betriebsoptimierung die Möglichkeit, eine Strategie zur Optimierung der Lieferkette auszuführen, die sowohl von erweiterten Prognosen, als auch von einer detaillierten Sicht des Unternehmens profitiert. Doch es muss auch angemerkt werden, dass bei der Erstellung der Bedarfsprognose
der Prognose-Engine nichts über die unternehmensspezifischen Treiber weiß, die aus der Sicht der Optimierung der Lieferkette relevant sind. Doch die Geschäftsszenarien mit den schwersten finanziellen Folgen sind gewöhnlich extreme Szenarien - „extrem“ aus einem statistischen Standpunkt betrachtet. So führt beispielsweise in den meisten Fällen eine unerwartet hohe Nachfrage zu Fehlbeständen, während eine unerwartet geringe Nachfrage Bestandsabschreibungen verursachen kann.
Klassische Prognose-Tools sind stark auf Durchschnitts- oder Mittelwertprognosen ausgerichtet: dadurch bleibt die Unternehmensperspektive vollkommen unberücksichtigt. In der Tat sind diese Prognosen unabhängig von der Genauigkeit ihrer Art vollkommen unbrauchbar, wenn das Geschäftsszenario, um das es sich dreht, ein statistischer Extremfall ist. In einem solchen Fall würde das Prognose-Tool nicht die relevante statistische Projektion liefern, um die wahrscheinlichen finanziellen Folgen dieses Geschäftsszenarios quantitativ zu beurteilen. Im Gegensatz dazu ermitteln probabilistische Prognose-Tools (siehe Lokads
Technologie der Quantiltabellen und unsere Seite über
probabilistische Prognosen) die entsprechenden Wahrscheinlichkeiten aller möglichen Bedarfsstufen, was im Gegenzug die Möglichkeit bietet, alle möglichen Geschäftsszenarien zu beurteilen.
Überraschend ist auch nicht, dass probabilistische Prognosen viel mehr Rechenleistung als die klassischen Einzelwertprognosen benötigen, teilweise weil
probabilistische Prognosen eine Art „Brute-Force-Methode“ für das Prognoseproblem darstellen. Da der Prognose-Engine über keine Informationen zu den relevanten Geschäftsszenarien verfügt, die berücksichtigt werden sollen, erstellt es einfach eine breite statistische Antwort, die (annähernd) alle möglichen Szenarien abdeckt. In der Praxis stellt die benötigte Rechenleistung für probabilistische Prognosen kaum ein Problem dar, dank der Möglichkeit, über Rechenressourcen zu geringen Preisen zu verfügen, wenn die Technologie passt.
Kurzer Überblick über die gängigsten finanziellen Treiber
Finanzielle Treiber beeinflussen die positiven oder negativen Folgen von Entscheidungen bezüglich der Lieferkette. Die Berechnung dieser Folgen bedürfen einer tatsächlichen Beobachtung des zu beobachtenden Bedarfs, doch wenn eine Bedarfsprognose vorhanden ist, können diese Folgen wiederum simuliert werden. Finanzielle Treiber sind dazu vorgesehen, alle möglichen Auswirkungen einer Entscheidung zu berücksichtigen und sich nicht lediglich auf die kurzfristigen finanziellen Ergebnisse zu beschränken. In der Praxis ist die Festlegung der finanziellen Treiber oft wie eine einfache Rechnung, in der mehrere Geschäftsszenarien mit einbezogen werden können.
Unter den häufigsten Entscheidungen bezüglich der Lieferkette steht die Bestellung von einer oder mehreren Einheiten eines Artikels. Besteht eine unmittelbare Nachfrage nach der bestellten Einheit, erzielt das Unternehmen Gewinn bei der Lieferung der Einheit. Dies stellt den mit der Bestellentscheidung assoziierten Gewinn dar. Besteht keine unmittelbare Nachfrage nach der Einheit, muss das Unternehmen
Bestandskosten für die Lagerung dieser zusätzlichen Einheit tragen. Dies sind die Kosten, die mit der Bestellentscheidung einhergehen. Die finanziellen Treiber für eine Bestellentscheidung werden dementsprechend festgelegt, indem sowohl der entstehende Gewinn als auch die entstehenden Kosten eines bestimmten Bedarfsszenarios aufgeschrieben werden.
Abgesehen vom Gewinn und den Kosten, beeinflussen auch Einschränkungen die Spanne der akzeptablen Entscheidungen bezüglich der Lieferkette:
- Lagerkapazität: Maximale Kapazität von Geschäften und Lagerhallen, die Bestellungen über eine bestimmte Bestandszahl verhindern.
- MOQs: Lieferanten, die Bestellungen erst ab einer Mindestbestellmenge, die etwa in Anzahl von Einheiten pro Bestellung ausgedrückt wird, annehmen. Diese MOQs können auch als Fixkosten auf Bestellungen an die Lieferanten interpretiert und modelliert werden.
- Kapitalkosten: Maximale Liquidität, über die ein Unternehmen verfügt, und die folglich notwendige Begrenzung der Kapitalallokation für den Bestand. Zugang zu mehr Kapital zu erreichen, kann für das Management des Unternehmens äußerst zeitintensiv sein und muss zusätzlich nicht immer deren strategischer Ausrichtung entsprechen.
- Transportkapazität: Größe der Bestellungen beim Import aus dem Ausland, so dass die Containerkapazität nicht überschritten wird. Container haben sowohl ein Höchstgewicht, als auch ein Höchstvolumen. Container können auch als eine Art von Fixkosten auf Bestellungen an die Lieferanten interpretiert werden.
Finanzielle Treiber müssen all die o.g. Einschränkungen und viele mehr berücksichtigen. Werden diese Einschränkungen nicht beachtet, schlägt das System, das Bedarfsprognosen und finanzielle Treiber kombiniert, wahrscheinlich Entscheidungen vor, die in der Praxis nicht umsetzbar sind - wie etwa die Auffüllung eines Lagers über seine Lagerkapazität hinaus.
Lokads Perspektive auf finanzielle Treiber
Lokad bietet einen probabilistischen Prognose-Engine. Obwohl vor der Einspeisung in den Engine, die Daten korrekt qualifiziert und bereinigt werden müssen, erlaubt anschließend unser Prognose-Engine eine komplette Automatisierung der statistischen Prognoseberechnungen, ohne jegliche statistische Einstellungen vornehmen zu müssen. Lokads Prognose-Engine ist sofort für viele verschiedene Branchen einsatzfähig (Handel, Herstellung, Luft- und Raumfahrt, ...).
Doch finanzielle Treiber sind äußerst vielfältig. Um diese Vielfalt zu bewältigen, hat Lokad Envision eingeführt, eine bereichsspezifische Programmiersprache, die zur Optimierung der Lieferkette konzipiert ist. Das sichtbare Ergebnis von Envision ist die Erstellung von Dashboards, doch Envisions hauptsächliche Funktion liegt in der Einbindung der finanziellen Treiber in die Prognose über Skripte, sodass optimierte Entscheidungen automatisch berechnet werden könne - wie etwa heutige Nachbestellmengen -.
Eine passende Kombination von finanziellen Treibern und probabilistischen Prognosen bedarf einer Politik, die diese Daten nutzen kann. So eignet sich beispielsweise die priorisierte Bestellpolitik besonders für die Lieferung von Bestellmengen, in denen die unternehmerischen Bestandsrisiken mit der Bedarfsprognose abgewogen sind.
In der Praxis übernimmt Lokad die Überprüfung und Formalisierung der finanziellen Treiber, deren Kombination mit probabilistischen Prognosen, die Qualifizierung und Bereinigung historischer Daten, die Erstellung optimierter Entscheidungen, die die genauen zutreffenden Einschränkungen berücksichtigen, über ein monatliches Abonnement für Bestandsoptimierungs-Dienstleistungen.
Verweis
Streetlight effect and forecasting, Joannes Vermorel, September 2015