Lagerumschlag (Umschlagshäufigkeit)

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Joannes Vermorel, März 2020

In der Buchhaltung gibt der Lagerumschlag (auch als Umschlagshäufigkeit oder Umschlagskoeffizient genannt) an, wie oft der ganze Lagerbestand in einem bestimmten Zeitraum, gewöhnlich einem Jahr, verkauft oder verbraucht wird. Der Lagerumschlag wird gewöhnlich entweder auf SKU (Stock-Keeping Unit) Ebene oder durchschnittlich auf aggregierter Ebene gemessen. Numerisch betrachtet wird der Lagerumschlag oft als Verhältnis zwischen dem Wareneinsatz durch den durchschnittlichen Lagerbestand definiert und daher als Wareneinsatz ausgedrückt. Mit dieser Größe wird die allgemeine Leistung der Supply-Chain insbesondere aus der Perspektive des Umlaufkapitals gemessen. Der Lagerumschlag ist als Kennzahl weit verbreitet, insbesondere im Bereich der schnelldrehenden Konsumgüter.

Finanzierung von Investitionen, Steuern, Erträge und Kosten.



Übersicht über die Verhältnisse des Lagerumschlags

Bei gleichbleibenden Umständen erreicht ein Unternehmen, das ein Produkt zu einem Einheitspreis von 1$ kauft und für 2$ verkauft und diesen Zyklus 20-mal durchläuft, einen doppelt so hohen Bruttogewinn als das Konkurrenzunternehmen, das denselben Zyklus nur 10-mal in einem Jahr durchläuft. Dennoch ist das erforderliche Umlaufkapital für den Bestand mehr oder weniger gleich. Deshalb korreliert die Lagerumschlagshäufigkeit zu einem gewissen Grad, auch wenn die Rentabilität nicht übereinstimmt.

Ebenfalls sind Sonderfälle aus der Sicht des Supply Chain Management (SCM) von erheblichem Interesse, wenn Umschlagshäufigkeiten bis zur SKU-Ebene analysiert werden. In der Tat werden SKUs, die einen niedrigen Lagerumschlag aufweisen, häufig mit überhöhten Lagerbeständen oder gar Lagerüberschüssen oder Abschreibungen assoziiert. Zusätzlich wirkt sich ein geringer Lagerumschlag deutlich auf das Umlaufkapital aus. Umgekehrt wird ein hoher Lagerumschlag mit Ware assoziiert, die schnell verkauft wird, und mit einem gesunden Lagerzustand, der mit weniger Wertminderung und Obsoleszenzproblemen zu kämpfen hat. Während eine hoher Lagerumschlagshäufigkeit oft Zeichen eines guten Bestandsmanagements ist, kann es auch auf einen ungenügenden Sicherheitsbestand bzw. auf einen unzulänglichen Schutz vor Supply-Chain-Risiken deuten.

In der Praxis gehen die beobachteten Lagerumschlagshäufigkeiten auf die Durchlaufzeiten zurück. So kann es vorkommen, dass bei fernen Zulieferern (evtl. aus Übersee) größere Bestandshöhen vorhanden sind, da mehr Bestand nötig ist, um die gesamte Leitnachfrage zu decken, wodurch der Lagerumschlag niedriger wird. Außerdem wird die Häufigkeit von anderen Faktoren, wie etwa Losgrößen MOQ (Mindestbestellmengen), oder EOQ (Optimale Bestellmengen) beeinflusst.

Formel für den Lagerumschlag

Der Lagerumschlag wird klassisch entweder aus der Sicht des Einkaufs oder des Vertriebs definiert. Aus der Sich des Einkaufs ist:

Lagerumschlag = Wareneinsatz / Lagerbestand zum Einstandspreis

Wo

  • der Wareneinsatz (COGS) die Kosten für den Einkauf der Rohstoffe plus Herstellungskosten einschließt, sofern eine Umwandlung vor dem Verkauf des Endprodukts in einem gewissen Zeitraum stattgefunden hat. In diesen Kosten sind jedoch Vertriebskosten (wie Werbung) oder allgemeine administrative Kosten (wie Personalkosten) nicht enthalten.

  • Der Lagerbestand zum Einstandspreis entspricht derselben Kostendefinition der COGS angewandt auf den aktuellen verfügbaren Bestand, Warenbestand oder Bestellbestand des Unternehmens. Hier sind keine Lagerhaltungskosten enthalten.

Der Vertriebsperspektive ergibt sich aus:

Lagerumschlag = Nettoumsatz / durchschnittlicher Lagerbestand zu Verkaufspreisen

Wo

  • der Nettoumsatz den Ertrag einer in einem bestimmten Zeitraum verkauften Einheit ohne Steuern (wie USt.) sowie provisorischen Rabatten und Skonti darstellt.
  • der Durchschnittliche Lagerbestand zu Verkaufspreisen sowie der Nettoumsatz gerechnet, aber auf den aktuellen Lagerbestand des Unternehmens, wie oben, angewandt wird.

Bei beiden Ansätzen muss der gesamte Bestand bei der Berechnung berücksichtigt werden. Also sowohl der Warenbestand als auch der Bestellbestand. Denn sobald die Ware bestellt ist, trägt das Unternehmen die mit diesen Mengen verbundenen Risiken und die Mengen wirken sich auf die Agilität der Supply-Chain aus.

Es gibt viele weitere Varianten für den Lagerumschlag. Der Zähler stellt immer den Bestandsfluss dar, während der Nenner für den Lagerbestand steht. Die meisten Varianten sind zulässig, solange das Verhältnis homogen ist und die Einheiten für beide Werte abgestimmt sind. Abstrakter gesagt, versucht der Lagerumschlag das Verhältnis zwischen den Flüssen und Beständen auszudrücken.

Als Faustregel gilt, dass die Einkaufsperspektive auf den Lagerumschlag in den meisten Wirtschaftszweigen geläufiger ist. Betrachtet man die Bestandshöhen von Teilen, Bauteilen oder Rohstoffen, ist das Konzept des Lagerbestands zu Verkaufspreisen etwas vage, da lediglich die Preise der fertiggestellten Ware direkt beobachtet werden können.

Diskussionsteilnehmer und die für die Erhebung von Industriedaten zuständigen Fachkräfte nutzen bei der Gleichung für den Lagerumschlag den Nettoumsatz als Zähler. Dies liegt vor allem daran, dass Unternehmen ungerne ihre detaillierten Bruttogewinnspannen preisgeben. In der Tat werden Umsatzvolumina als weniger sensibel erachtet, da die Verkaufspreise bereits öffentlich zugänglich sind.

Vereinzelt lässt sich auch beobachten, dass es viele beliebte post-hoc Rationalisierungen für diesen Zustand gibt, die sich auf der „vermeintlichen“ Überlegenheit der Vertriebsperspektive stützten, die in erster Linien von jenen vorangetrieben wird, die über keine Daten verfügen, um die Einkaufsperspektive umzusetzen. Während die Vertriebsperspektive sicherlich auch Vorzüge bietet, weist sie gleichzeitig auch fast dieselben Vor- und Nachteile wie die konkurrierende Einkaufsperspektive auf.

Beschränkungen des Lagerumschlags

Trotz der verbreiteten Ansicht, dass der Lagerumschlag (oder einfach nur Umschlag im Folgenden) eine gute Annäherung zum Verständnis der Leistung einer Supply-Chain ist, darf mach nicht vergessen, dass solche Indikatoren bestenfalls eine Annäherung sind. Sie weisen viele Beschränkungen auf, die oft unterschätzt werden.

Versteckte Komplexität. Die Messung von Umschlägen stellt eine komplexe Aufgabe dar, da die einfachsten Messungen die Problematik zu stark vereinfachen und somit sinnlose Ergebnisse hervorbringen. Beispielsweise ist der Begriff des Wareneinsatzes recht schwammig, wenn Lieferanten Nachlässe bieten oder eingekaufte Ware dem ständigen Wandel der Marktpreise unterliegt. Umgekehrt können sich Rücksendung, Rückrufe oder Aktionen negativ auf den Gewinn auswirken, während sie gewöhnlich (geringe) Umschläge zumindest optisch verbessern. In der Praxis müssen Umschläge anhand tiefgreifender Kenntnisse der Branche maßgeschneidert werden, um Probleme, die dem ursprünglichen Zweck ansonsten entgegenstehen würden, zu überwinden und die Rentabilität der Lieferkette in realitätsgetreuen Umschlägen auszudrücken. Die meisten Unternehmenssoftwares scheitert an der Aufgabe, ausreichende Details für die KPI der Umschläge zu liefern, wodurch die Teams dazu verdonnert werden, auf Kalkulationstabellen zurückzugreifen, um „ordentliche“ Messungen zu erhalten.

Nicht aktuelle Indikatoren. Vom Design her müssen die Durchschnitte der Umschläge über lange Zeiträume, die ein Vielfaches der Durchlaufzeit darstellen, berechnet werden, um statistisch relevant zu sein. Dabei muss die Messperiode aufgrund von Bedarfsmustern, wie etwa Saisonalität, oft über ein Jahr betragen, um aussagekräftige Ergebnisse zu liefern. Folglich beschäftigen sich Lagerumschläge mit relativ „alten“ Problemen, die bereits gelöst sein sollten, bzw. mit langsamen Veränderungen der Supply-Chain des Unternehmens, die bereits früher anhand alternativer Indikatoren hätten erkannt werden sollen. In der Praxis muss prädiktive Technologie eingesetzt werden, die zuverlässig lokale (Zeit) Verzerrungen, wie etwa Saisonalität, Aktionen, Fehlbestände, usw. korrigieren kann und somit die überholten Umschläge einsetzbar macht.

Bikeshedding. Wie die Meisten Indikatoren für die Lieferkette –insbesondere wie die ABC-Analyse– hat der Lagerumschlag eine besondere Tendenz, lange und unproduktive Diskussionen mit jeder Menge Beteiligung aus den verschiedensten Abteilung des Unternehmens, wie etwa Buchhaltung, Finanzierung, Lieferkette, Herstellung, uvm., herbeizuführen. Da der Lagerumschlag in Theorie einfach, aber in der Praxis komplex ist, sind KPIs, die sich darauf stützen, in vielerlei Hinsicht trügerisch und führen zu weiteren Reibungen zwischen den Teams und zur falschen Ausarbeitung von Anreizen. Die Beschränkung kann durch eine genau Dokumentation zu den Eigenheiten des Indikators umgangen werden, die jedoch die anfängliche Einfachheit der Lagerumschläge über den Haufen wirft.

Mangelnde Relevanz. In manchen Situationen ist der Lagerumschlag einfach nicht relevant. In Branchen, die auf Neuheit beruhen, wie Mode, Luxus oder Kultur, sind die Produkte meist Top oder Flop und der Produktlebenszyklus teils zu kurz, um Bedeutung zu haben. So ist in Branchen, mit (reparierbaren) Serienbeständen, etwa der Luftfahrt oder Industrieanlagen, die Abfertigungszeit (TAT oder Turn-Around Time) gewöhnlich bedeutender als der Lagerumschlag.

Methoden zur Verbesserung des Lagerumschlags

Es gibt viele beliebte Ansätze zur Senkung von Lagerumschlägen, dennoch hat jede Methode ihre Vor- und Nachteile.

MethodeVorteileNachteile
Senkung des VerkaufspreisesNiedrigere Preise erhöhen den Bedarf und lösen weitere GrößenkostenersparnisseNiedrigere Gewinnspannen und Abwertung der Marke
Verringerung des Sortiments, Entfernung von Lagerhütern Weniger Komplexität in der Lieferkette, weniger Bestände Potentiell schlechtere Bedienung der Kunden, Verlust an Kundenbindung
Verkürzung der Durchlaufzeiten, mehr lokale Lieferanten Keine Investition im Voraus, bessere Agilität allgemein Höhere Transportkosten, teurere Lieferanten
Verkleinerung der Losgrößen, MOQ und EOQ Bessere allgemeine Agilität der Lieferkette über einen besseren Lagerumschlag hinaus Erhöhte Kosten im Einkauf und/oder der Herstellung
Verringerung des Sicherheitsbestands Weniger Umlaufkapital, geringere Lagerhaltungskosten Potentiell schlechtere Bedienung von Kunden, tiefgreifendere Folgen bei Fehlbeständen
Verbesserung der prädiktiven Beurteilung von Risiken in der Lieferkette Verringert nicht nur die schlechtesten Lagerumschläge, sondern auch Abschreibungen und Obsolesenzkosten Schwere Umsetzung. Die meisten Softwareanbieter bieten nicht mehr als das status quo
Schaffen von Anreizen für Lieferrückstände oder verzögerte LieferungenLieferrückstände bergen wenig Risiko für Lagerbestand und Umlaufkapital Kunden wandern zur Konkurrenz ab, wenn die Lieferzeit relevant ist
Lagerumschlag Mini-Antipattern: Manche Fertigungsunternehmen, gewöhnlich im Bereich der Schnelldreher, nutzen Lagerumschläge als KPI für die Leistung des Unternehmens. So bekommen Teams Anreize, manchmal sogar einen Bonus, um den Lagerumschlag zu verringern. Leider lassen sich diese Indikatoren so manipulieren, dass sie sich auf das Unternehmen negativ auswirken. Beispielsweise können Rohstoffe weiterhin als Rohstoffe gehalten werden, anstatt sie umzuwandeln, mit dem Ziel, den Bestandswert zu vermindern, da Zwischenprodukte höher gewertet werden als Rohstoffe. Alternativ können kurz vor Ende des Quartals Großrabatte an Kunden geboten werden, um die unmittelbaren Bestandshöhen zu verringern und den Lagerumschlag zu verbessern. Grundsätzlich kann man davon abraten, Teams Anreize für die Verringerung von der Umschlagshäufigkeit zu bieten, da sich diese Indikatoren leicht manipulieren lassen.

Folglich ist der Ansatz der „niedrigen Lagerumschläge“ ziemlich eng und erfasst, was gewöhnlich als Hochleistung in Supply-Chains gilt, nicht. Auch wenn der Lagerumschlag gering gehalten werden sollte, wenn sich eine kostengünstige Gelegenheit ergibt, müssen sekundäre Folgen, wie etwa der Verlust von Kundenbindung oder die Erhaltung nicht wettbewerbsfähiger Lieferanten, berücksichtigt werden, um zu entscheiden, ob das Endergebnis einen Nettogewinn für das Unternehmen bedeutet.

Lokads Ansicht

Wie die meisten (angeblich) einfachen Indikatoren zur Lieferkette, ist der Lagerumschlag _einseitig_ und spiegelt die entgegengesetzten Wirtschaftskräfte im Unternehmen und die Lieferkette nicht richtig wider. Lagerumschläge stellen, genauso wie Sicherheitsbestände, ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Risiken dar, insbesondere zwischen den Kosten des Lagerbestands und der Fehlbestände. Auch wenn Lagerumschläge wertvolle Einblicke in die Supply Chain bietet können, ist es mit viel Aufwand verbunden, diese Messungen so zu verfeinern, dass sie auch „stimmen“. Dies wird gewöhnlich von vielen Unternehmen unterschätzt, da die meisten Softwareanbieter einsatzfertige Lagerumschlag-ähnliche KPI bieten. Doch diese eingebauten Fähigkeiten sind ausnahmslos zu simple, was die Eigenheiten des Unternehmens betrifft. So benötigen diese KPIs in der Praxis eine maßgeschneiderte Implementierung, die oft die Möglichkeiten der BI (business intelligence) Tools, die nicht für komplexes Financial Engineering ausgerichtet sind, übersteigen.