Stückliste

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Von Joannes Vermorel, März 2020

Eine Stückliste (auch bill of materials oder BOM) ist eine Liste der Einzelteile oder Rohstoffe und deren Mengen, die für die Herstellung, die Montage oder Reparatur eines Produkts erforderlich sind. Eine Stückliste bietet eine kompakte bestandsorientierte Darstellung der Voraussetzungen für ein Endprodukt. So sind sie oft in Unternehmenssoftware wie ERPs oder MRPs vorhanden und werden für die Automatisierung von sich wiederholenden Tätigkeiten, wie etwa Nachschubaufträgen, eingesetzt. In der Praxis sind Stücklisten eine Art Oberbegriff, mit dem je nach Branche unterschiedliche Ziele verfolgt werden.

Black table with industrial equipment and tools



Überblick über die Stückliste

Stücklisten sind breit eingesetzte Informationsobjekte wie SKUs (Stock-Keeping Unit) oder MOQs (Mindestbestellmengen). Die einfachste Form, auch als einfache Stückliste bezeichnet, enthält lediglich eine Liste von Materialien und deren Mengen. In erweiterter Form, die man gewöhnlich über eine CAD-Software (zum rechnerunterstützten Konstruieren) erstellt, umfasst die Stückliste auch technische Zeichnungen des Produkts und die Anordnung der Teile. So ändert sich das Ziel einer Stückliste je nach Branche:

  • In der Herstellung stellen Stücklisten gewöhnlich den Prozess dar, mit dem Teile oder Baugruppen montiert werden. So werden Verbrauchsmaterialien, wie etwa Klebebänder, Farbe, Öl oder Tinte oft nicht in den Stücklisten für die Herstellung aufgenommen. Hier werden Stücklisten hauptsächlich dazu eingesetzt, konsistente Flüsse zwischen den relativen Anteilen an Rohstoffen, angefangenen Arbeiten und Endprodukten aufrechtzuerhalten.
  • Im Einzelhandel werden Stücklisten oft als Bündel, Bausätze oder Pakete bezeichnet. Sie stellen einen Mechanismus zur Preisgestaltung dar, mit dem Ziel, dem Kunden einen Rabatt zu gewähren, wenn er mehr Ware kauft. Manchmal entstehen Bündel aus einfachen praktischen Gründen, z.B. wenn Spielzeug zusammen mit den entsprechenden Batterien verkauft wird. In diesen Fällen bieten Stücklisten eine rein abstrakte Perspektive.
  • In der Überholung und Instandhaltung stellen Stücklisten Materialien dar, die zur Durchführung von Reparaturen erforderlich sein könnten. Hier sind die Mengen aus Stücklisten reine Obergrenzen für die Materialien, die tatsächlich benötigt werden. Je nach dem, in welchem Zustand sich das zu reparierende Teil befindet, ist für die Reparatur lediglich ein Bruchteil der Stückliste nötig; wenngleich die genauen Mengen erst bekannt werden, wenn die Reparatur erfolgt ist.

Stücklisten werden im Bereich der Stammdatenpflege verwaltet. Daher bieten Asset-Management-Systeme wie ERPs oder MRPs gewöhnlich in irgendeiner Form Stücklisten. Viele Alltagsaufgaben, wie etwa die Lagerauffüllung, hängen von aktuell gehaltenen und genauen Stücklisten ab.

Strukturstücklisten

Eine Strukturstückliste (auch multi-level BOM) ist wie eine Stückliste, in der aber die darin enthaltenen Artikel auch eigene Stücklisten haben können. Strukturstückliste stellen praktisch die rekursive Perspektive einer Stückliste dar. Obwohl die Strukturstückliste teilweise als fortschrittlicher empfunden wird, ist dies nicht der Fall, da Softwares, die gewöhnliche Stücklisten unterstützen, normalerweise auch solche Strukturstücklisten, wenn auch teilweise rein „zufällig“, unterstützen. Tatsächlich steht den Mitarbeitern der Supply-Chain, sobald eine Stückliste von der Software unterstützt wird, nichts mehr im Weg, um „virtuelle“ Teile im System zu erzeugen, die über ihre eigenen Stücklisten verfügen. Das einzige Ziel dieser virtuellen Teile ist dann die Darstellung einer Strukturstückliste, wenn das System keine kanonischere Art und Weise hierfür bietet.

Die meisten interessanten Features rund um die Strukturstücklisten umfassen:

  • Löschung von Dateneingaben, z.B. um die Einführung von zirkulären Abhängigkeiten, bei denen ein Teil auch als innere Bedingung für sich selbst erscheint, zu vermeiden.
  • leichte Bedienbarkeit, wie etwa die Ausführung aller inneren Stücklisten für ein bestimmtes Produkt, um die Verwaltung komplexer Stücklisten mit mehreren Ebenen oder Stufen zu erleichtern.
  • Datenanreicherung, etwa durch die Zuordnung von Durchlaufzeiten für die Herstellung auf strukturebene der Stückliste, um einen detaillierteren Überblick auf die zugrundeliegenden Prozesse, über die Stücklisten modelliert werden, zu bieten.

Stücklisten und Servicelevels

Die Sicherstellung einer bestimmten Servicequalität für Endprodukte –oft mit Service-Levels gemessen–, wenn Stücklisten genutzt werden, ist ein etwas kompliziertes statistisches Problem. In den meisten Unternehmen, die Stücklisten einsetzten, werden viele innere Teile gemeinsam genutzt, beispielsweise dient ein Teil der Herstellung mehrerer Endprodukte und taucht somit in verschiedenen Stücklisten auf. In solchen Fällen lässt sich der resultierende Service-Level für die Endprodukte auch nicht berechnet, wenn die Service-Levels für die inneren Teile bekannt sind, weil sie empirisch gemessen oder absichtlich gesteuert werden.

Hat das Unternehmen nur ein Endprodukt, kann der Service-Level oft recht vernünftig als niedrigster Service-Level jeglicher seiner Teile annähernd bestimmt werden. Wenn alle anderen Faktoren in diesem Falle gleich bleiben, geht man davon aus, dass die Fehlbestände der inneren Teile stark korrelieren, da erwartet wird, dass der Sicherheitsbestand synchronisiert wird, weil dieses einzige Endprodukt auch den einzigen Verbrauch von Teilen darstellt. Diese Annäherung würde jedoch nicht funktionieren, wenn die Lieferanten unterschiedliche Durchlaufzeiten haben oder es außer dem künftigen Bedarf nach dem Endprodukt weitere Quellen für Ungewissheit gibt.

Bietet das Unternehmen eine Vielzahl an Endprodukten, kann der Service-Level –sofern keines der Produkte, was das Volumen betrifft, dominiert– als das Produkt der Service-Level all seiner Teile zu einem vernünftigen Grad annähernd berechnet werden. In diesem Fall geht man davon aus, dass die Verfügbarkeit der inneren Teile unabhängig ist und gleichzeitig eine Voraussetzung für die Montage des Endprodukts. Wird der Verbrauch der inneren Teile jedoch von wenigen Endprodukten dominiert, trifft diese Annäherung nicht zu.

Die zwei oben beschriebene Fälle, jeweils als einziges Endprodukt und einheitliche Endprodukte bezeichnet, stellen die Ober- und Untergrenze dar, die vom Service-Level eines Endprodukts im Zusammenhang mit dem Service-Level seiner Teile erwartet werden kann. Bestenfalls hat das Endprodukt einen Service-Level, der nicht unter dem seiner schwächsten Teile liegt. Schlimmstenfalls hat das Endprodukt einen Service-Level, der nicht über dem Produkt der Service-Level all seiner Teile liegt.

Stückliste für Reparaturen

Bei Reparaturen, oft in der Luftfahrtbranche als MRO (Wartung, Reparatur und Betrieb) bezeichnet, können Endprodukte (z.B. Rotables oder Umlaufprodukte) repariert werden. So stellt die Stückliste eine Liste aller Materialien dar, die eventuell bei einer Reparatur eingesetzt werden. Nach der Demontage und Inspektion des Endprodukts stellt man jedoch oft fest, dass nur ein Bruchteil der Materialien aus der Stückliste erforderlich ist. Dennoch kann man im Voraus nicht wissen, welche Teile und Mengen für die Reparatur erforderlich sein werden.

Die Stücklisten für Reparaturen unterscheiden sich von den (gewöhnlichen) Stücklisten im Wesentlichen, weil sie zum Bereich der Historisierung der Vorgänge gehören, während die gewöhnlichen Stücklisten zum Bereich der Stammdaten gehören. So ist die Anzahl an Dateneinträgen deutlich größer, da bei jedem Reparaturvorgang die einzelnen verbrauchten Teile genau verfolgt werden können und sich die Ungewissheit nicht vermindern lässt.

Normalerweise wird die Servicequalität über die TAT (Turnaround Time oder Umdrehzeit) gemessen. Dies wird jedoch bei einer Stückliste für Reparaturen komplexer, da nicht nur die Anzahl künftig benötigter Reparaturen ungewiss ist, sondern auch die Anforderungen bei jeder Reparatur. Im Falle der Reparaturen wird die Modellierung und Optimierung der Servicequalität über probabilistische Vorhersagen und Modellierungen erreicht.

Konfigurierbare Stückliste

Vielen Branchen, insbesondere die Automobilindustrie und der Elektronikbranche, bieten den Kunden ein hohes Maß an Konfigurierbarkeit, mit der diese das Endprodukt definieren können. Sind mehr Optionen vorhanden, als man über SKUs –indem jeder möglichen Kombination eine SKU zugeordnet wird– gehandhabt werden kann, greifen die meisten Unternehmen auf konfigurierbare Stücklisten zurück, über die eine Reihe akzeptabler Konfigurationen definiert werden.

Konfigurierbare Stücklisten stellen einen jedoch vor einige Herausforderungen:

  • Eine Abstraktion zu definieren, die ausreichenden Ausdruck bietet, um alle möglichen Konfigurationen einzuschließen, und gleichzeitig die nicht umsetzbaren Konfigurationen auszuschließen. Zum Beispiel hängt bei einem Arbeitsplatz (PC) die Eignung des Netzteils von der Liste der Komponenten, die darin verbaut sind, ab. In der Informatik soll mit Abstraktionen ein Mittelgrad an Ausdrucksfähigkeit erreicht werden, der der von Boolesche Ausdrücken (geringe Ausdrucksfähigkeit) übertrifft, jedoch unter der von generischen Programmen (maximale Ausdrucksfähigkeit) liegt. So wird die für konfigurierbare Stücklisten eingesetzte Abstraktion oft an die spezifischen Bedürfnisse des Unternehmens angepasst, da sogar die Konkurrenz andere Anforderungen haben kann.
  • Ein gutes Nutzererlebnis für Kunden oder für die Mitarbeiter im Vertrieb, die den Konfigurator nutzen müssen. Der Konfigurator ist der Teil der Software, der die Sendung maßgeschneiderter Bestellungen unterstützt, mit denen ein Produkt auf eine evtl. einzigartige Weise konfiguriert wird. Wird der Kunde auch noch mit inneren Affinitäten oder der Kompatibilität von Untersystemen konfrontiert, kann dies seine Entscheidungsfähigkeit überstrapazieren. Ein guter Konfigurator unterstützt den Endnutzer in dieser Hinsicht.
  • Jede verkaufte Einheit ist einzigartig. Ähnlich wie bei Reparaturen, muss die Stückliste aus einer probabilistischen Perspektive beurteilt werden, bei der jeder einzelnen Konfiguration eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet wird. Jedoch sind konfigurierbare Stücklisten im Gegensatz zu denen bei Reparaturen normalerweise deutlich begrenzter, wobei jede Eingrenzung eine Information darstellt, die aus einem Optimierungsprozess der Supply-Chain erhalten werden kann. Denken wir beispielsweise an den PC für den Arbeitsplatz zurück. Hier gibt es immer unabhängig von den gewählten Komponenten mindestens ein Netzteil.

In Supply-Chains, in denen konfigurierbare Stücklisten eingesetzt werden, sind fast immer maßgeschneiderte numerische Modelle erforderlich, da Zeitreihen sowie die meisten Modelle, die man als „klassische Supply-Chain-Optimierung“ bezeichnen könnte, normalerweise nicht anwendbar sind.

Lokads Ansicht auf Stücklisten

Nach außen hin wirken Stücklisten einfach. Doch der Schein trügt. Während das Management von Stücklisten normalerweise –außer im Falle von konfigurierbaren Stücklisten, die immer komplex sind– recht unkompliziert ist, wird durch die Nutzung von Stücklisten jegliche Optimierung (von Bestandshöhen, Service-Levels, Durchlaufzeiten) deutlich schwieriger. Die meisten Softwareanbieter geben an, Stücklisten zu unterstützen, doch gewöhnlich wird nur die Verwaltung von Stücklisten unterstützt, was relativ trivial ist, da keine Optimierung geliefert wird.

Aus der Perspektive der Modellierung sind Stücklisten Graphen, die entsprechende Fähigkeiten/Funktionen/Module benötigen, um effizient verarbeitet zu werden. Lokad hat seine eigenen umfangreichen Fähigkeiten für solche Fälle in Supply-Chains weiterentwickelt. Außerdem ist die Optimierung einer Supply-Chain bei Nutzung von Stücklisten der erste logische Schritt hin zur Optimierung eines mehrstufigen Netzwerks.