Des Teufels Advokat (Supply-Chain Anti-Pattern)

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Von Joannes Vermorel, Juni 2015

Man sagt, Kunden seien der beste Anwalt eines Anbieters, doch ist es weise, des Teufels Anwalt zu sein?

Alias: Anbieter aus der Hölle

Kategorie: Management



Problem: Das Unternehmen hat einen großen Deal zur Verbesserung seiner Lieferkettenleistung mit einem teuren Anbieter geschlossen. Gewöhnlich verkauft ein Anbieter von Unternehmenssoftware eine Kombination aus herkömmlichen Beratungsdiensten und seiner Haupt-Software-Lösung. Der Anbieter liefert stets unter den Erwartungen, doch das Unternehmen erhöht das Budget immer weiter, obwohl Deadlines ständig versäumt werden.

Einzelberichte: Sollte man den Behauptungen der Anbieter für Unternehmenssoftware Glauben schenken, sollten die aus ihrer Lösung generierten Gewinne nach dem mooreschen Gesetz rascher als die Rechenleistung wachsen.

Kontext: Das Management sucht verzweifelt nach einer Lösung zur Besserung der Lieferkettenleistung. Man hat schon einige Zeit mit internen Versuchen verloren und die Mitarbeiter haben das Gefühl, dass trotz all ihrer Bemühungen das gesamte Projekt auf Eis steht. Die Herausforderung ist mit vielen Variablen und Bedingungen komplex. Außerdem treten hier komplizierte Bedarfsmuster auf und keiner hat eine genaue Vorstellung über einen vernünftigen statistischen Ansatz für das Problem. Das Management ist nun davon überzeugt, dass zur Lösung dieser Herausforderung Expertise von außen benötigt wird.

Vermutete Lösung: Das Management trifft sich mit einem Anbieter und alle sind sofort von der Lösung des Anbieters begeistert. Dieser verspricht einen leichten Weg: die gesamte Komplexität würde dank seiner einzigartigen Technologie und Methodik vom Anbieter selbst übernommen. Durch diesen Anbieter hat das Management endlich eine Art gefunden, die gesamte Herausforderung, die zu schwer ist, extern zu delegieren. Die Mitarbeiter sind auch enthusiastisch, was die Lösung betrifft, da sie dadurch auch ein Sagen haben und ihren Erwartungen zu entsprechen scheint.

Resultierender Kontext: Man hat eine Menge Geld für den Anbieter ausgegeben und die Ergebnisse sind bestenfalls mäßig. Es ist nicht einmal klar, ob die Liferkettenleistung letztendlich aufgrund des Anbieters gestiegen ist. Es mag sein, dass Über- und Fehlbestände sich geringfügig verbessert haben, doch dies auf Kosten eines recht komplexe Setups, das die gesamten Teams monatelang beschäftigt hat. Gleichzeitigt hat der Anbieter die Ansicht des Kunden nie in Frage gestellt, sondern hat genau das gesagt, was dieser hören wollte. Da die gesamte Kommunikation aus dem bestand, was das Unternehmen erwartet hat, ist aus dem Projekt trotz des Versprechens, bahnbrechende Technik und Methodik anzuwenden, nichts wirklich Neues dabei herausgekommen. Sollte der Anbieter morgen verschwinden, müsste das Unternehmen in den Zustand vor dem Deal verfallen und das gesamte Projekt als versunkene Kosten betrachten. Tief in Inneren sind sich einige Manager dessen bewusst und dennoch wäre aufgrund ihrer Unterstützung, wäre ihre Stelle gefährdet, wenn sich das Projekt öffentlich als erfolglos entpuppen würde.

Anziehungskräfte: Der Anbieter beherrscht auf jeden Fall die Kunst der Verführung. Unter seinen Vertretern finden sich Senior Experten mit beeindruckenden Erfolgsbilanz und Beziehungen zu sehr großen Unternehmen. Unter Umständen waren manche der Vertreter im Laufe ihrer Karriere Leiter einer Abteilung, die größer als das eigene Unternehmen war. Im Vertriebsteam des Anbieters finden Sie auch promovierte Mitarbeiter. Die meisten technischen Kommentare bleiben jedoch für das Management des Unternehmens ein Rätsel, doch die Doktoren scheinen ein deutlich tiefgreifenderes Verständnis des Geschäfts zu haben, das die eigene Expertise des Managements übertrifft. Das „All-in-one-Paket“, das der Anbieter präsentiert, ist genau das, was das Management gesucht hat: Erleichterung. Außerdem beherrscht der Anbieter die Kunst, passende technische Buzz-Wörter zu benutzen, die die gesamte Industrie zurzeit auf den Kopf stellen. Auch die Mitarbeiter, die herangezogen wurden, waren sofort begeistert – denn der Anbieter lies alle Aufgaben weiterhin bestehen, wie die Mitarbeiter es gewohnt waren, und verbesserte lediglich die angemerkten Reibungspunkte.

Warum dies zum Versagen verurteilt ist: Die Verbesserung der Lieferkette bedeutet, dass Änderungen stets schwer, stressig und undankbar sind. Für das Management bedeutet dies gewöhnlich, dass sie neue Fähigkeiten, oft schwere technische Fähigkeiten, erlernen müssen, obwohl sich ihre Karriere bisher durch das ständige Erlernen von Soft-Skills für das Management von immer größeren Teams ausgezeichnet hat. Der Anbieter verspricht eine revolutionäre Lösung, doch da dem Management auch eine einfache Lösung verkauft wurde, wird letzten Endes lediglich Konformität und Status quo geliefert – jedoch in einem etwas besseren Paket. Grundsätzlich wiederholt der Anbieter die Wünsche des Managements und der involvierten Mitarbeit. Doch auch wenn das Echo beruhigend wirkt, findet kein Lernprozess statt, da nichts Neues zu hören ist. Ebenso hört sich die Idee, Mitarbeiter zu „fördern“ wunderbar an. Doch die greifbareren Besserungen der Lieferkette erfolgen auf Grundlage einer höheren (physischen oder logischen) Automatisierung, was direkt viele Einstiegspositionen in einem Unternehmen gefährdet. Indem Anbieter schwere Veränderungen vermeiden, vermeiden sie auch tiefgreifende Besserungen.

Positive Muster zur Aufmerksamkeit auf das Problem: Die beste Art, das Problem des „Anbieters aus der Hölle“ zu lösen, liegt in erster Linie in der Auswahl besserer Anbieter. Außerdem sollten Sie Unternehmensanbietern gegenüber, die beruflich vor allem Experten der Verführung sind, misstrauisch sein. Unternehmen, die leider bereits an einen solchen Anbieter gebunden sind, sollten eine bestimmte Denkweise fördern: hart bei Problemen und sanft mit Menschen. Sie kommen nicht darum, getrennte Wege von ihrem Anbieter zu gehen und das Projekt als versunkene Kosten zu betrachten. Statt die im Projekt involvierten Mitarbeiter zu bestrafen, sollte das Unternehmen sich zum Ziel setzen, so viel wie möglich aus dieser Erfahrung zu lernen und dies intern bekannt geben, sodass sich die Geschichte nicht wiederholt.

Beispiel: Fabrikam ist eine kleine spanische Marke mit ihrem eigenen Einzelhandelsnetz von etwa 100 Geschäften. Ihr Markt ist ziemlich groß und sie haben das Gefühl, eine nebensächliche Rolle auf dem Markt zu spielen. Wie praktisch jeder anderer auf diesem Markt, wird der Großteil ihrer Produktion zurzeit in China hergestellt, was ziemlich lange Durchlaufzeiten mit sich bringt. Außerdem haben sie auch begonnen, sich in die Nachbarländer auszubreiten, hauptsächlich in Portugal und Frankreich, obwohl Spanien weiterhin über 80 % ihres Absatzes darstellt. Dennoch setzt die langen Durchlaufzeiten, zusammen mit einem wachsenden Liferantennetz die Lieferkette des Unternehmens unter Druck. Fabrikam hat das Gefühl, die Funktionsweise seiner Lieferkette ist nicht dafür geeignet, um sich auf dem gesamten europäischen Markt zu verbreiten. Insbesondere stammt ihre prädiktive Analyse „aus dem Haus“ und der Konsens, sowie die Genauigkeit sind weit vom benötigten Zustand entfernt. Zielstrebig beginnt das Unternehmen zur Verbesserung ihrer Lieferkette einige Proofs of Concepts (POCs) von verschiedenen Anbietern einzuholen. Es wird nicht viel Arbeit in der korrekten Einrichtung dieser POCs gesteckt, und noch viel weniger in das Verständnis der Technik, die hinter der Erzeugung dieser Ergebnisse steht. Intern setzen sich Schlüsselmitarbeiter, die seit langem in der Firma sind, noch für selbstentwickelte Lösungen ein. Doch ohne die notwendigen Ressourcen und tiefgreifenden Fähigkeiten, fahren sich diese intern entwickelten Lösungen gewöhnlich fest.

Irgendwann beschließt das Führungsteam, eine Reise nach Silicon Valley, der „Wiege“ der Einführung, zu unternehmen. Das Ziel liegt darin, die eigene Perspektive auf die Probe zu setzen bei Meetings mit Anbietern aller möglichen in den USA als bahnbrechend betrachteten Technologien, die Großteils noch nicht in Europa vorkommen. Während der Reise trifft sich das Team mit Brian, von Genialys. Bevor Brian Genialys beigetreten ist, war er ein Vertriebsleiter der Einzelhandelsabteilung für Nordamerika in einem sehr großen Unternehmen. Die Abteilung für Nordamerika ist sogar größer als das ganze Fabrikam. Genialys wurde 18 Monate zuvor von 3 Top-Führungskräften von Delphis, einem erstklassigen Anbieter für Unternehmenslösungen, für die höchsten Preise auf dem Markt bekannt, gegründet. Zwei der drei Mitbegründer verfügen über Doktortitel von Eliteuniversitäten. Einige Stunden danach, organisiert Brian ein Meeting mit dem Führungs- und dem Gründerteam von Fabrikam vor Ort in Spanien, während sie noch in Silicon Valley sind.

Das Meeting verläuft unglaublich gut. Genialys hat eine Vision, die Fabrikams Ziele gänzlich abdeckt und übertrifft. Außerdem handelt es sich um die USA und nicht dem alten Europa, und dort werden Geschäfte 50-mal schneller geschlossen – oder so heißt es immer. Genialys hat alle nötigen Mittel gesammelt und verfügt über ein Team, dass innerhalb von Stunden einsatzbereit ist. Genialys wird Fabrikam zum Modellkunden Europas katapultieren. Die Eckpreise von Genialys sind gewaltig, ähnlich zu denen von Delphis. Doch das Management ist überzeugt, dass Genialys die Lieferkettenoptimierung neu definieren wird. Innerhalb von 6 Monaten wird die Amortisation Millionen Euro Monatlich ausmachen und die Kosten für Genialys werden sich ausgezahlt haben. Wenn Sie das Beste wollen, müssen Sie auch bereit sein, den Preis zahlen – denkt sich Fabrikams Management.

Spulen wir schnell ein Jahr vor – das Projekt zieht sich noch immer. Genialys hat die Budgetierungskomponente des Projekts richtig geliefert, die praktisch nur eine Komponente für die Eintragung von Daten ist, die ziemlich einfachen Berechnungen zugeordnet ist. Doch all die Aspekte, die mit der Prognose zusammenhängen, die Fabrikam am meisten am Herzen lagen, sind noch „in Bearbeitung“. Genialys Experten sind routinemäßig von der Westküste nach Europa gereist, aber haben langsam genug von diesen Reisen. Die spanischen Teams versuchen immer zu verstehen, wie die erweiterten Statistikmethoden die Probleme der Lieferkette, die auftreten, berücksichtigen. Es wurden Millionen in dieses Projekt gesteckt, doch noch nichts umgesetzt. Das Management wird langsam nervös, doch immer wenn die Lage besonders angespannt ist, entsendet Genialys ein Senior Team an Fabrikams Sitz in Spanien, das versichert, alles laufe nach Plan.

Die Ergebnisse lassen auf sich warten, doch Genialys Kosten werden weiterhin bezahlt.