Zeitreihen (Supply-Chain)

Illustration-Notebook-als-Buch






Von Maxime Barbier, Juni 2021

Zeitreihen sind eines der grundlegendsten und vielseitigsten mathematischen Werkzeuge, die in der Wirtschaft eingesetzt werden. Einfach erklärt, besteht eine Zeitreihe aus einer Serie von Datenpunkten, die in zeitlicher Reihenfolge gelistet sind. Mit Zeitreihen lässt sich also alles modellieren, von der Entwicklung der Umsätze eines Unternehmens bis hin zu den Preisen der Produkte und das auf jährlicher, monatlicher, täglicher oder sogar stündlicher Ebene. Zeitreihen sind besonders intuitiv, weshalb sie sich hervorragend zur Beschreibung, Visualisierung, Modellierung und schließlich zur Vorhersage verschiedener Variablen eignen.

Time series illustration


Deskriptive Statistiken mit Zeitreihen

Zeitreihen werden in erster Linie für beschreibende Statistiken verwendet. Mit ihnen können große Informationsmengen in einer Grafik oder Tabelle zusammengefasst werden. Allerdings werden Zeitreihen, gerade weil sie besonders intuitiv sind, oft zu stark vereinfacht oder falsch interpretiert. Eine Quelle für Fehlinterpretationen ist die für die Zeitreihe verwendete zeitliche Aggregation. Kalendermonate stellen eine etwas willkürliche Zeiteinteilung dar. Zudem ist es eine reine Illusion zu denken, Monate wären aus geschäftlicher Sicht homogen. So lassen sich Abweichungen in den Daten, die auf den ersten Blick wie Diskrepanzen wirken, schon an der unterschiedlichen Anzahl an Tagen und Wochenenden eines Monats erklären. Ebenso verhält es sich mit der Zyklizität bei Datenschwankungen. Feiertage wie etwa Weihnachten oder Black Friday führen systematisch zu Umsatzspitzen, sowie der Monatsanfang, in dem das Gehalt ausgezahlt wird. Solche Zyklizitäten werden jedoch nicht unbedingt von unserem Kalender widergespiegelt. Traditionen wie der Ramadan oder das chinesische Neujahrsfest sorgen für zyklische Schwankungen in den Daten, jedoch ist der Zyklus nicht monatlich oder jährlich bedingt. Zusätzlich sollte man sich davor hüten, voreilige Schlüsse aus Zeitreihen zu ziehen oder allzu einfache Korrelationen zwischen Diagrammen herzustellen. Wichtig ist, stets die Unterschiede zwischen den Variablen zu berücksichtigen, etwa zwischen Umsatz, Nachfrage und Gewinn.

Visualisierung von Zeitreihen

Oft werden Zeitreihen auch zum Lesen und Visualisieren von Daten sowie zum Vergleichen verschiedener Reihen verwendet. Bei solchen Diagrammen liegen die Fallstricke jedoch erneut in ihrer scheinbaren Einfachheit. In diesem Zusammenhang können verschiedene Mapping-Techniken verwendet werden, um die Daten bestmöglich zu visualisieren. Beispielsweise weckt das Zeichnen von Linien zwischen Datenpunkten den Eindruck von Kontinuität. Dies kann z. B. bei der Abbildung der stündlichen Entwicklung von Aktienkursen nützlich sein.

Bei besonders diskontinuierlichen Daten kann jedoch ein Balkendiagramm geeigneter sein.

Die x-Achse sollte beim Lesen einer Zeitreihe genau beachtet werden. Bei einigen Diagrammen liegt der Fokus auf kleinen Wertintervallen. Dies soll Datenschwankungen hervorheben, birgt jedoch die Gefahr, dass diese Schwankungen überschätzt werden. Auch andere Phänomene, wie z. B. exponentielles Wachstum, werden durch eine lineare Skala auf der X-Achse falsch dargestellt. Daher kann man sich etwa für eine logarithmische Skala entscheiden, bei der die frühen Wachstumsphasen ebenso gut wahrgenommen werden können wie die späteren.

Modellierung und Vorhersage

Zeitreihen werden häufig zur Unterstützung statistischer Modelle genutzt. Diese Modelle verfolgen zweierlei Ziele, zum einen die Vergangenheit zu erklären und zum anderen, die Zukunft vorherzusagen. Im Bereich Supply-Chain ist die Vorhersage des künftigen Bedarfs erforderlich, um die nötigen Beschaffung- und Fertigungsaufträge zu bestimmen und das Risiko von Überbeständen zu minimieren. Üblicherweise wird innerhalb einer Zeitreihe zwischen verschiedenen Ebenen differenziert: einer primären Ebene, die sog. Basislinie, einer langfristigen Entwicklung, also einem Trend, zyklischen oder periodischen Schwankungen, die sog. Saisonalität, und anderen zufälligen Schwankungen, die als Rauschen bezeichnet werden. Auf diese Weise können wir Datenschwankungen, die mit regelmäßigen Zyklen zusammenhängen, von einem zugrundeliegenden fallenden oder steigenden Trend unterscheiden. Diese Muster liefern die Grundlage für Wirtschaftsprognosen.

Es gibt drei Hauptarten von Prognosen, die unterschiedliche Zwecke erfüllen.
  • Anhand von Punktprognosen soll der „beste“ zukünftige Wert einer Variablen nach einer bestimmten Fehlermetrik ermittelt werden. Dies ist zum Beispiel bei einer Wettervorhersage der Fall, bei der für jeden Tag ein einziger Temperaturwert vorhersagt wird. Mit einer Punktprognose wird nicht die Entwicklung dieser Variable genau dargestellt. Schließlich weiß der Leser, dass die Temperatur wahrscheinlich um den vorhergesagten Wert schwanken wird. Vielmehr soll anhand der Punktprognose ein nützlicher Hinweis für den Leser erstellt werden, der als solide Grundlage für seine zukünftigen Entscheidungen dient.
  • Probabilistische Vorhersagen liefern die vollständigen Wahrscheinlichkeitsverteilungen des zukünftigen Wertes. Häufig werden Konfidenzintervalle zur Visualisierung solcher Prognosen verwendet. Diese Prognosen können beispielsweise für spekulative Zwecke nützlich sein.
  • Generative Prognosen lassen die Entwicklung der Variablen „natürlich“ oder „plausibel“ erscheinen, indem sie ein gewisses Maß an Eventualitäten und zufälliger Entwicklung zulassen. Diese „generative Perspektive“ kann für die Durchführung von Simulationen nützlich sein.

Das Software-Ökosystem für Zeitreihen

Heutzutage werden zahlreiche Softwarearten zur Berücksichtigung der Komplexität von Zeitreihen und zur Erstellung von Modellen oder Prognosen, die den Anforderungen der Nutzer gerecht werden, eingesetzt. Dabei gibt es Datenbanken, Open-Source-Tools und sogar Programmiersprachen, die sich ausschließlich mit Zeitreihen befassen. Zusätzlich wurden zahlreiche Prognosemethoden entwickelt. So gibt es Software, die die künftigen Werte einfach über gleitende Durchschnittswerte schätzt, während andere Softwarearten sich für die exponentielle Glättung entscheiden, d. h. das Gewicht der vergangenen Werte nimmt exponentiell ab, je weiter diese Werte in der Zeit zurückliegen.

Zeitreihen sind daher ein besonders vielseitiges Mittel zur Abstraktion und ein grundlegendes statistisches Werkzeug. Dennoch kann ihre scheinbare Einfachheit irreführend sein. Eine ganze Reihe von Faktoren kann somit die Art und Weise der Darstellung der Daten beeinflussen bzw. zu deutlichen Abweichungen in den Daten führen. Daher ist es von größter Bedeutung den Prozess der Datenerhebung gut zu kennen und sich der oben genannten Faktoren bewusst zu sein.