Anti-Patterns in Lieferketten

Illustration-Notebook-als-Buch









Lieferkettenprojekte scheitern oft. Die quantitative Logistik ist daher unsere Antwort zur Reduktion von Fehlerquoten. Doch, da sich die quantitative Logistik auf Verfahren konzentriert, von denen wir wissen, dass sie funktionieren, beachten sie Verfahren, von denen wir wissen, dass sie nicht funktionieren, wenig. Noch schlimmer ist dabei, dass die meisten dieser unerwünschten Verfahren auch hinter den hohen Fehlerquoten herkömmlicher Lieferkettenmethoden stehen.

In den folgenden Absätzen bieten wir einen Überblick über Prozesse, oder Muster, die Lieferkettenprojekte zum Scheitern verurteilen. Es hat uns viel gekostet, diese Einblicke zu gewinnen und die Ursache des Problems zu verstehen - nicht nur einen Fehler, sondern viele. Wir nennen diese schädlichen Prozesse Anti-Patterns in Lieferketten. Ein Anti-Pattern ist eine „Lösung“, die fehlschlägt. Es handelt sich um einen gewöhnlichen Ansatz, der als gute Idee verstanden wird, doch im Endeffekt, nicht zu den vorgesehenen Besserungen führt, für die es ursprünglich geplant war.


Schlechte Führung

Keineswegs möchten wir uns bei Lokad die Hauptentscheidungsträger von Lieferketten zum Feind machen, da diese unsere potentielle Neukunden und auch Kunden sind. Gleichzeitig betrachten wir es als unsere Aufgabe, keine Verträge abzuschließen, bei denen die Lösung offensichtlich scheitern wird. Oft geht das Problem letzten Endes auf das Projektmanagement zurück. Gewiss ist aber das Lieferkettenmanagement nicht die einzige Hürde für ein Lieferkettenprojekt. Manche Anbieter locken ihre Kunden mit falschen Botschaften und kommen immer wieder ohne Konsequenzen davon. Auch Verfahren, die sich schon eingesessen haben und interne Richtlinien können dem Alltag des Lieferkettenmanagements zusetzen und dazu führen, dass dieses unter Umständen auch als Sündenbock für alles, was nicht funktioniert, genutzt wird. In diesem Abschnitt erörtern wir verschiedene Ursachen für scheiternde Projekte, die durch die Überprüfung der Lieferkettenleistung gelöst werden könnten.

Höllische Ausschreibungen

In manchen Bereichen mögen Ausschreibungen sinnvoll sein, leider ist der Softwarebereich keiner davon. Denn es ist viel komplizierter, die Spezifikation als die eigentliche Software zu schreiben. Dies erfordert einen gewaltigen Aufwand. Wenn ein Ausschreibungsverfahren läuft, erschweren Unternehmen diesen oft, indem sie Berater hinzuziehen, die die bereits komplexen Spezifikationen weiter verkomplizieren. Bei Ausschreibungen werden die meisten lösungsorientierten Gedanken unterdrückt, da man davon ausgeht, dass der Kunde bereits die feinsten Details der gewünschten Lösung kennt, obwohl das „Problem“ per Definition zum Zeitpunkt der Ausschreibung alles andere als gelöst ist. Außerdem entsteht bei Ausschreibungen eine gegnerische Anbieterauswahl, denn die guten Anbieter entfernen sich von diesem, während letzten Endes nur die schlechten bleiben. Zusätzlich ist die Softwareindustrie eine Branche mit raschen Veränderungen. So wird Ihre Konkurrenz, wenn Sie mit der Ausschreibung fertig sind, bereits eine Lösung entwickelt haben.

Die empfindlichen POC

Ein POC (Proof of Concept) durchzuführen ist eine gute Idee, wenn Sie einen praktisch kommerzialisierten Dienst erwerben wollen, wie etwa ein Druckdienst für Visitenkarten. Ein Lieferkettenprojekt ist schwer zu entwerfen. Lieferketten bedürfen eines hohen Maßes an Koordination zwischen verschiedenen Einheiten. Außerdem gibt es mehrere Informationsebenen, die genutzt werden sollten. Zusätzlich müssen zig Workflows berücksichtigt werden. POCs oder Pilotversuche auf kleiner Ebene sind schädlicher als nützlich, denn allein durch ihr Design, wird ein grundlegender Vorteil des Lieferkettenprojekts vernachlässigt, nämlich die Fähigkeit zur Skalierbarkeit. Die meisten Menschen kennen die Grundsätze von Skaleneffekten, doch wenn es um Lieferkettenoptimierung geht, behandeln wir diese als negative Skaleneffekte, indem gute Entscheidungen bei wachsender Komplexität des Problems schwieriger zu treffen sind. Erfolgreiche Ergebnisse bei kleinen Vertriebszentren garantieren also nicht, dass die Lösung genauso gut funktioniert, wenn Sie auf Dutzende Zentren angewandt wird.

Ungewissheit nicht ernst nehmen

Die Zukunft ist ungewiss und die Ungewissheit kann nicht einfach umgangen werden. Ähnlich hierzu ist die numerische Optimierung der Lieferkette ein schwieriges Problem, das auch nicht umgangen werden kann. Lieferkettenoptimierungen erfordern probabilistische Prognosen, die als direkte Folge zum Umgang mit ungewissen Zukunftsszenarien gelten. Außerdem taucht bei der Lieferkettenoptimierung ein etwas kontraintuitives Verhalten, das durch die numerischen Optimierungen entsteht. Manche Anbieter nutzen dabei den Wunsch, alles einfach zu halte, um Phantasievorgänge zu verkaufen, bei denen alle Hürden abstrahiert werden. Leider sind diese Hürden keine rein technischen Aspekte, sondern definieren, was tatsächlich für Ihre Lieferkette funktionieren könnte. So sollte Ungewissheit von Grund auf aus einer numerischen Perspektive eingebettet werden. Das Lieferkettenmanagement muss also auch Ungewissheit akzeptieren und sich zu ihrem Nutzen machen.

Sich auf den Praktikanten verlassen

Wenn Ihnen an der Verbesserung der Lieferkette für Ihr Unternehmen was liegt, ist die direkte Mitwirkung der oberen Führung erforderlich. Zu oft streben Unternehmen Verbesserungen an, doch entscheiden dann, einen oder zwei Praktikanten damit zu beauftragen. Obwohl wir einige äußerst intelligente Praktikanten kennengelernt haben, haben wir nie ein erfolgreiches von Praktikanten gestütztes Lieferkettenprojekt erlebt. Selbstverständlich haben wir nichts gegen Praktikanten. Sie können sehr intelligent und motiviert sein und unkonventionelle Ideen haben, doch sie sind keineswegs, was Ihr Unternehmen zur Umsetzung von Änderung bezüglich Ihrer Lieferkette benötigt. Hierbei sollte die obere Führungsebene Engagement zur Lieferkette zeigen, andernfalls setzen die Teams nichts um. Teams haben außerdem, falls überhaupt, nicht sehr viel Freizeit. Es sei denn das Management priorisiert das aktuelle Projekt durch sein direktes Engagement deutlich, ist das Projekt für niemanden, außer vielleicht für den zugewiesenen Praktikanten, Priorität.

Zu Tode planen

Das Management möchte sich rückversichern und hierfür scheint nichts besser als ein solides Roadmap mit gut definierten Phasen, Rollen und Leistungen. Doch, falls wir überhaupt etwas aus der Geschichte der Softwarebranche gelernt haben, ist es, dass vordefinierte Pläne nicht einmal die erste Projektwoche überleben. Manchmal sogar nicht einmal den ersten Tag. Wenn es um Lieferkettenoptimierung geht, tauchen immer wieder unerwartete Dinge auf, was für sich eine beängstigende Perspektive ist. Doch das Projekt durch genaue Planung unflexibel zu gestalten macht alles nur noch schlimmer, da es somit bei unerwarteten Problemen anfälliger wird. Stattdessen sollte das Projekt so belastbar wie möglich gegenüber Unerwartetes gestaltet werden. Die Fähigkeit, sich von Problemen zu erholen, ist hierbei deutlich wichtiger als die Fähigkeit, von vornherein Probleme zu beseitigen. Daher sollte sich das Lieferkettenmanagement darauf konzentrieren, ein agiles Projekt, statt einem gut geplanten Projekt zu entwickeln.

Entkopplung der Prognosen von der Optimierung

Der herkömmliche Ansatz der Lieferkettenoptimierung trennt den Prognoseprozess vom Entscheidungsfindungsprozess. Obwohl dies aus einer technischen Perspektive machbar ist, indem man zwei verschiedene Algorithmen-Sets nutzt, eines für die Prognose und eines für die Optimierung, muss aus einer funktionalen Perspektive das Team, das für die Prognose verantwortlich ist, auch für die Optimierung verantwortlich sein. So ist die Entscheidungslogik, oder in anderen Worten die Optimierung, numerisch und besonders empfindlich auf die Prognoselogik. Durch die Isolierung beider Perspektiven erreicht man, dass jegliche Fehler, die in der Prognoseebene vorhanden sind vergrößert werden und auch die entstehenden Entscheidungen zerstören. Daher sollte die Optimierungslogik stattdessen numerisch ausgelegt sein und so kooperativ wie möglich bezüglich der Stärken und Schwächen der Prognoselogik sein.

„Frankensteinisierung“ der Software

In großen Unternehmen ist es schwer, einen Konsens zu erreichen. Folglich kann, während die Mehrheit der in der Lieferkette involvierten Stakeholder sich für einen bestimmten Lieferanten entscheidet, eine kleine Gruppe weiterhin deren eigene Meinung durchsetzen wollen, oder sich für ein komplett anderes Feature entscheiden. Da die Benutzerdefinierung für große Softwareanbieter ein profitables Geschäft ist, zwingen Anbieter diese zu oft auf, wodurch die Kosten, sowie der empfundene Wert im Vorgang in die Höhe getrieben werden. Doch es dauert Jahre, gute Software zu schreiben, und wenn es richtig gemacht wird, bieten die Endergebnisse einen fein abgestimmten Kompromiss zwischen widersprüchlichen Zielen. Das praktisch systematische Endergebnis der übermäßigen Benutzerdefinierung von Software in großen Unternehmen besteht darin, die ursprünglichen Eigenschaften des Produkts zu entfernen, um dieses nicht besser, sondern schlechter zu machen, indem immer mehr Schichten hinzugefügt werden und die Software zu einem Monster gestaltet. Es gibt keinen Mangel an Softwareanbietern, sodass, wenn die Lösung nicht zu Ihrem Unternehmen passt, Sie einfach einen anderen Anbieter wählen. Wenn kein Anbieter zu Ihrem Unternehmen passt, ist Ihr Unternehmen einzigartig - was eher selten der Fall ist - oder womöglich sollten Sie Ihre Anforderungen überprüfen.

Projekte auf Grundlage von Schlagwörtern

Um 2010 herum war es im Einzelhandel angesagt, herauszufinden, wie man Wettervorhersagen für die Verfeinerung von Bedarfsprognosen nutzen konnte. 2012 drehte sich alles um die Einbettung von Social Media-Daten in die Bedarfsprognose. 2014 dominierte Big Data das Bild, das 2016 vom Maschinellen Lernen ersetzt wurde. Jedes Jahr bringt uns eine neue Welle Schlagwörter. Obwohl es nicht schaden kann, ein altes Problem mit einer frischen Perspektive wieder aufzugreifen, trifft dies nicht für den Überblick der eigentlichen Herausforderung zu. Verliert man diesen, riskiert man auch alles, was für das Projekt bereits unternommen wurde, zu verlieren. Wenn es zu gut ist, um wahr zu sein, ist dies wahrscheinlich auch der Fall. Verbesserungen im Bereich Lieferkette sind immer schwer verdient. Stellen Sie sicher, dass sich alle Neuheiten, die Sie einbringen möchten, auch wirklich auf die Hauptherausforderungen Ihrer Lieferkette konzentrieren.

Schlechte IT-Umsetzung

Zu oft werden der IT Projektfehler in die Schuhe geschoben. IT ist kompliziert und noch viel schwerer, als die meisten, die nichts damit zu haben, denken. Dennoch kommt es auch vor, dass IT-Teams mit guten Absichten zu viel Reibung zwischen ihren Prozessen schaffen, sodass das Projekt so verlangsamt wird, dass das restliche Unternehmen aufgibt. IT-Teams müssen nicht nur Veränderungen im weitesten Sinne begrüßen, sondern auch die spezifischen Veränderungen, die künftige positive Veränderungen nicht gefährden. Natürlich einfacher gesagt als getan.

Achten Sie auf IT-Verteidigungsmechanismen

Da sich IT-Teams in der Vergangenheit eventuell als Sündenböcke gefühlt haben, wenn Projekte im Unternehmen schiefgelaufen sind, könnten sie unter Umständen „Verteidigungsmechanismen“ entwickelt haben. Eines der häufigsten Mechanismen dreht sich darum, detaillierte schriftliche Spezifikationen für jede neue Initiative zu fordern. Doch die Softwarelösungen zu spezifizieren ist oft schwieriger als die Software-Lösung umzusetzen. Daher kommt zu einem bereits komplexen Problem ein noch komplexeres Problem hinzu. Weitere Verteidigungsmechanismen umfassen strenge „Anforderungen“ wie etwa: die Software muss lokal gesucht werden, sie muss mit X kompatibel sein, sie sollte bestimmte Sicherheitsfeatures bieten, usw. Es dauert Jahre, gute Software zu schreiben. Wenn man eine lange Liste mit Anforderungen schreibt, sind am Ende nur zwei Arten von Anbietern verfügbar: diejenigen, die nicht mit Ihren Anforderungen kompatibel sind und diejenigen, die bezüglich der Kompatibilität mit Ihren Anforderungen lügen.

Unterschätzung des Erhebungsaufwands

Auch wenn es etwas paradox erscheinen mag, können Lieferkettenprojekte auch scheitern, weil die IT zu sehr damit beschäftigt ist, die Lösung zu konzipieren und selber die Daten aufbereitet. Da die Informatik besonders komplex ist, können Sie besonders talentierte Menschen in diesem Bereich finden, doch es kann auch passieren, dass manche IT-Teams letzten Endes glauben, das Geschäft besser als der Rest des Unternehmens zu kennen. Die erste negative Konsequenz dieses Gedanken ist eine konstante Unterschätzung des Aufwands, der in Bezug auf die Unternehmensdaten erforderlich ist. Bei der Datenverarbeitung geht es sinnvollerweise nicht nur darum, Megabytes von Daten hin und her zu bewegen. Vielmehr muss bis ins Detail verstanden werden, wie diese Daten die Prozesse und Workflows des Unternehmens darstellen. Außerdem müssen auch subtile Verdrehungen, Verzerrungen und Grenzen der Daten, da sie im Unternehmenssystem jederzeit vorkommen, nachvollziehbar sein. Wenn IT-Teams die Datenvorbereitung übernehmen, führt dies fast ausnahmslos zu unerwarteten Verzögerungen, bis sie nach und nach verstehen, wie viel ihre anfängliche Perspektive übersehen hat. Unter Berücksichtigung dessen, wäre eine vernünftige Option, diese Rolle von vornherein auf jemanden außerhalb der IT-Abteilung zu übertragen.

Der Reiz der erweiterbaren Plattform

Wenn es um Unternehmenssoftware geht, gibt es etwas, das Anbieter beherrschen, nämlich die Kunst einer „erweiterbaren“ Plattform mit jeder Menge Modulen, die zufällig viele Zusatzverkäufe darstellt. Doch Plattformen lassen sich nicht einfach kombinieren und so treten bald funktionelle Überschneidungen auf, also zwei Plattformen, die intern für dieselbe Funktion in Ihrem Unternehmen konkurrieren. Zwei sich überschneidende Plattformen sind für die IT jedes Unternehmens ein Albtraum und führen praktisch immer zu Synchronisierungsmechanismen mit schwerer Umsetzung und Wartung. Daher ist fast immer die vernünftige Option, auch wenn eine allumfassende Lösung sehr reizend erscheinen mag, sich für begrenzte Anwendungen zu entscheiden, die nur eines können, aber dafür besonders gut. Es ist einfacher, dutzende kleiner Anwendungen aufrechtzuerhalten, als zwei große Plattformen, mit gleich großen funktionalen Überschneidungen, was teuflisch sein kann.

Unzuverlässige Datenextraktion

Daten sind für die quantitative Logistik wie Blut: wenn sie nicht fließen, stirb die Lieferkette. Das Projekt muss ständig mit frischen Daten eingespeist werden. Oft geht die IT davon aus, dass einige einmalige Datenextraktionen genug für den Anfang sind. Immerhin, könnte es ja auch sein, dass das Projekt stillgelegt wird - wie Sie sich erinnern, scheitern ja die meisten Projekte - weshalb es nicht sehr sinnvoll scheint, in diese anfängliche Datenextraktion viel Arbeit einzustecken. Doch mit dieser Ansicht wird die Umsetzung von zuverlässigen automatisierten Vorgängen zur Datenextraktion verzögert, was die erste Ursache zum Scheitern des Projekts darstellt. Daher muss die IT proaktiv sein und die Datenextraktion vom Anfang an automatisieren. Außerdem hat das IT-Team auch einer Coaching-Rolle, indem es den Rest des Unternehmens davon überzeugen sollte, dass diese zusätzliche Anstrengung ein Schlüsselfaktor für ein erfolgreiches Projekt ist und dass die Einweg-Extraktionslösungen nirgends hinführen.

Schlechte numerische Pläne

Die Lieferkettenoptimierung ist praktisch ein Zahlenspiel. Natürlich sind Unternehmensvision, Führung und Disziplin wichtig, doch unserer Erfahrung nach sind die meisten Unternehmen besonders gut in diesen Bereichen. Doch, wenn es um die Zahlen geht, scheint es, als wäre die gesamte Lieferkette voller numerischer Pläne. Nicht alle Fachkräfte im Bereich Lieferkette verstehen, dass alle Formeln und Modelle, die hier als numerische Pläne bezeichnet werden, von ziemlich festen Annahmen abhängen. Fällt eine dieser Annahmen weg, fällt der gesamte numerische Plan zusammen. In diesem Abschnitt zählen wir einige der häufigsten Irreführer auf. Um uns kurz zu halten, gehen wir davon aus, dass der Leser diese Pläne bereits kennt.

ABC-Analyse

Der ABC-Ansatz für den Bestand wurde zu einer Zeit geschaffen, zu der Computer keine Option für Lieferketten darstellten. Der Hauptvorteil von ABC-Analysen ist, dass die Analysen so einfach gehalten sind, dass man sie per Hand ausführen kann. Denkt man jedoch an die ungeheure Rechenleistung moderner Computer, ist es heutzutage nicht mehr sinnvoll, ABC-Analysen durchzuführen. Denn die Klassifizierung von tausenden SKUs in nur 3 oder 4 zufällige Klassen bringt überhaupt keinen Vorteil. Es gibt eine ganze Reihe Stufen zwischen dem meistverkauften und dem am Ende der Liste. Die Logik zur Optimierung der Lieferkette sollte diese laufenden Stufen nutzen, statt sie zu ignorieren. In der Praxis haben wir auch erkannt, dass negative Effekte der ABC-Analyse durch Marktänderungen verschlimmert werden, die die Klassen mit Produkten, die aus einer Klasse in eine andere wechseln, aus dem Gleichgewicht bringen.

Sicherheitsbestand

In Ihrem Lager gibt es keinen „Sicherheitsbestand“. Sicherheitsbestand ist ein fiktives Konzept, das den vorhandenen Bestand in zwei Bestandskategorien teilt: den Betriebsbestand und den Sicherheitsbestand. Aus einer historischen Perspektive, wurde der Sicherheitsbestand eingeführt, um auf eine einfache Art und Weise mit wechselhaftem Bedarf und Durchlaufzeiten umzugehen. Der Sicherheitsbestand wird auf Grundlage von Normalverteilungen, auch Gaußverteilungen genannt, modelliert. Doch schon ein kurzer Blick auf das Dataset einer beliebigen Lieferkette zeigt, dass weder Bedarf noch Durchlaufzeiten normalverteilt sind. Anfang der 80er, als Computer noch sehr langsam waren, mögen Normalverteilungen ein guter Kompromiss zwischen Komplexität und Genauigkeit gewesen sein, doch heutzutage macht es keinen Sinn, auf etwas zu beharren, das damals entwickelt wurde, um die Begrenzungen dieser Computer zu umgehen.

Manuelle Prognosekorrektur

Manche Fachkräfte sind stolz darauf, „das System schlagen“ zu können, und besser Prognoseergebnisse zu erstellen als das System. Sollte dies der Fall sein, sollte die Funktionsfähigkeit des Systems in Frage gestellt und repariert werden, indem die Expertise der Fachkräfte genutzt wird. Denn die Optimierung jeglicher beachtlichen Lieferketten umfasst täglich tausende, wenn nicht Millionen von Prognosen. Somit sollte ein Unternehmen manuelle Änderungen zur Korrektur der Schwächen des Systems nicht einmal in Erwägung ziehen. In Anbetracht der Entwicklung der Statistik in den letzten 20 Jahren, besteht kein Grund zur Annahme, dass ein automatisiertes System weniger als ein Mensch leistet, der realistisch gesehen, jeder erstellten Zahl nicht einmal ein paar Sekunden Aufmerksamkeit schenken könnte. Wenn ein Mensch genug Zeit hätte, sich tagelang mit jeder Entscheidung, die im Unternehmen anfällt, zu beschäftigen, würde die Situation ganz anders aussehen. Doch, da die Mehrheit der Entscheidungen bezüglich der Lieferkette täglich getroffen werden muss, fällt dies unter eine andere Kategorie.

Warnungen und schlechte Prognoseüberprüfung

Klassische Prognosen setzen auf ein einziges Zukunftsszenario, wie etwa Prognosen, die auf Durchschnitt und Mittelwert zielen, als wenn dieses Zukunftsszenario mit einer bedeutenden Wahrscheinlichkeit eintreten würde. Doch die Zukunft in ungewiss und Prognosen sind bestenfalls annähernd. In manchen Fällen sind klassische Prognosen sogar schlicht und einfach falsch. Oft entstehen Unternehmen beträchtliche Kosten aufgrund solcher großer Prognosefehler. Folglich werden Warnungen eingeführt, um solch große Fehler zu vermeiden. Doch der Fallstrick liegt nicht an der eigentlichen Prognose, sondern am klassischen Prognoseansatz, der sich auf ein einziges Zukunftsszenario konzentriert, während alle möglichen Zukunftsszenarien nicht mit derselben Wahrscheinlichkeit eintreten. Aus der Perspektive der probabilistischen Prognose, sind Prognosefehler hauptsächlich im Voraus bekannt und werden durch Wahrscheinlichkeitsverteilungen dargestellt, die eine Reihe möglicher Werte bietet. Probabilistische Prognosen konzentrieren sich auf einen Ansatz, bei dem das Unternehmen ein geringeres Risiko mit seiner Lieferkette eingeht, wenn es mit einem höheren Grad an Ungewissheit agiert. Im Gegensatz hierzu, sind die Warnungen der klassischen Prognosen ein Symptom eines von Grund auf nicht funktionierenden Ansatzes, der die Ungewissheit leugnet.

Notreparaturen an historischen Daten

Wenn Verzerrungen, wie etwa Fehlbestände oder Aktionen, in historischen Daten vorkommen, fühlt man sich dazu hingezogen, diese auf irgendeine Weise zu „reparieren“, indem die historischen Daten verändert werden, sodass diese die Daten wiederspiegeln, als wenn es keine Verzerrung gegeben hätte. Diesen Vorgang bezeichnen wir als „Notreparaturen" der historischen Daten. Der Hintergrundgedanke dieser Notreparaturen ist, dass alle Prognosemodelle als Variante des gleitenden Mittelwerts entwickelt werden. Wenn Sie gleitende Mittelwerte haben, müssen historische Daten selbstverständlich angepasst werden. Doch Notreparaturen sind nicht die Lösung. Eigentlich liegt die Lösung in der Erweiterung des Horizontes und der Suche nach besseren Prognosemodellen, die nicht so schlecht funktionieren, wie es bei gleitenden Mittelwerten der Fall sein kann. Daher sollte bei der Bearbeitung von „erweiterten“ historischen Daten bessere Statistikmodelle benutzt werden, bei denen Verzerrungen selbst als Daten-Input behandelt werden. Solche Modelle waren vor einigen Jahrzehnten noch nicht verfügbar, doch dies ist heutzutage nicht mehr der Fall.

Zweitrangige Durchlaufzeiten

Aus irgendeinem uns unersichtlichen Grund, werden Durchlaufzeiten oft als gegebener Dateneintrag erachtet, statt als etwas, das einer Prognose bedarf. Denn tatsächlich sind künftige Durchlaufzeiten ungewiss und fast immer ist die zuverlässigste Art, diese zu schätzen, die vergangenen Durchlaufzeiten anzuschauen. Daher bedürfen Durchlaufzeiten ihrer eigenen Prognosen. Außerdem wirkt sich eine richtige Schätzung der Durchlaufzeiten noch viel stärker auf die Lieferkette aus, als viele Fachkräfte denken. Denn die aktuellen Bestandsmengen sollen den Bedarf während einer bestimmten Durchlaufzeit decken. Ändern sich die Durchlaufzeiten, ändert sich auch der Bedarf. Daher darf die Prognose der Durchlaufzeiten in Ihrem Lieferkettenprojekt keine zweitrangige Rolle spielen. Fast alle Lieferkettenprojekte konzentrieren sich auf eine genaue Bedarfsprognose, doch unserer Erfahrung nach, sind genau die Prognosen der Durchlaufzeiten genauso wichtig.

Pseudowissenschaft

Pseudowissenschaften ähneln der Wissenschaft stark: sie hören sich rational an, sie bieten Zahlen, sie gelten als erwiesen und werden von hochgebildeten Menschen verteidigt. Dennoch sind bei Pseudowissenschaften keine wiederholbaren Ergebnisse gesichert. Gewöhnlich lässt sich eine Pseudowissenschaft auch ohne Versuche entdecken, denn sie fällt bei einem unparteiischen Peer-Review eines Experten zusammen. Lieferketten sind kostspielig und komplex, daher auch schwer zu verstehen. Dies erklärt, weshalb Lieferketten-Methoden ziemlich schwer in Frage zu stellen sind. Experimente bringen nicht nur ein sehr hohes Risiko mit sich, sondern es ist auch schwer zu schätzen, was zu einem empfundenen Erfolg beiträgt.

Phantasiefälle

Lösungen für Lieferketten sind nicht der Einzige Unternehmensbereich, in dem Anbieter schlaue Behauptungen äußern, doch wie man sagt: wenn es zu gut scheint, um wahr zu sein, ist dies wahrscheinlich auch der Fall. Immer wieder beobachten wir selbst, wie Anbieter behaupten, mit seiner Lösung könne jetzt der Bestand halbiert werden. Eigentlich fällt uns dies bei einem großen Anbieter jedes Jahr im Januar bei der NRF-Messe in New York auf, einer der größten Einzelhandelsmessen weltweit, die es schon seit über ein Jahrhundert gibt. Wenn nur ein Zehntel davon stimmen würde, hätte die gesamte Industrie seit einem Jahrzehnt praktisch perfekte Lagerbestände. Die Zahlen der Geschäftsfälle lassen sich auf so viele Arten manipulieren, dass die meisten Anbieter eigentlich nicht wirklich lügen. Das üblichste ist, dass das Vorzeigeunternehmen, das für die Werbung der Lösung gewählt wird, eine bereits anfänglich nicht funktionierende Lieferkette hatte. Somit hätten genauso beeindruckende Verbesserungen ein Jahr später, wenn alles wieder in den Normalzustand geriet, erhalten werden können.

Sich für Prognosen auf den Vertrieb verlassen

Es ist weiterhin rätselhaft, ob Personen, die den Vertrieb mit der genauen Erstellung von Bedarfsprognosen beauftragen, jemals mit einem richtigen Vertriebsteam gearbeitet haben. Im besten Fall können diese Zahlen als eine ehrliche Vermutung verstanden werden, doch in den meisten Fällen werden diese einfach vom Vertriebsteam, auf Grundlage ihrer finanziellen Anreize, erfunden. Dies führt zum sogenannten „Sandbagging“, bei dem die Ziele so niedrig wie möglich gesetzt werden, um die Erwartungen zu übertreffen. Zusätzlich kommt es auch zu Lieferkettenteams, die den Anschein erwecken, diese Zahlen zu überprüfen, während die eigentlichen Operationen komplett vom Input des Vertriebs laufen. Die vom Vertrieb vorgeschlagenen Zahlen zu ignorieren stellt dabei die einzige vernünftige Option dar, da ansonsten die Lieferkette auf Grundlage solcher schlechten Zahlen aufhören würde zu funktionieren.

Erprobte Lösungen

Eine erprobte Lösung zu finden, die bei ähnlichen Unternehmen deutliche Vorteile erzielt hat, kann ziemlich vernünftig klingen. In der Praxis haben dies beispielsweise Nokia und unzählige andere Unternehmen ausprobiert, bis sie nicht mehr existierten. Die meisten großen Unternehmen sind nicht so schnell, wenn es um die Wahl komplexer Lösungen geht. Die Auswahl eines Anbieters kann bis zu einem Jahr in Anspruch nehmen. Dann dauert es noch ein Jahr, bis die gewählte Lösung auch im vollen Einsatz ist. Die Überwachung der Lösung, die Vertrauen in deren Ergebnisse schafft, dauert ein oder zwei weitere Jahre, besonders bei Lieferketten, bei denen nicht alle Lösungen nachhaltig sind und bei Lieferketten, die rasch in einen früheren Zustand zurückverfallen, wenn der Anbieter nicht ständig vor Ort die Lösung anpasst. So kann es noch ein weiteres Jahr dauern, bis der Lösungsanbieter Ihr Unternehmen mit dieser Erprobung erreicht. Das Schlimme an dieser Denkweise ist, dass Ihr Unternehmen es sich nicht leisten kann 5 Jahre zu spät zu kommen. Was Software betrifft, sind fünf Jahre eine sehr lange Zeit. Die meisten Softwares gelten nach diesem Zeitraum gewöhnlich als überholt. Warum sollte das mit Ihre Lieferkettenlösung anders sein?

Schlechte Metriken, schlechte Benchmarks

Die quantitative Logistik dreht sich allein um Zahlen, denen sie vertrauen können. Folglich neigen wir zu Metriken und Benchmarks. Dennoch beobachten wir, dass im Bereich Lieferkette die große Mehrheit von Benchmarks und Metriken so schlecht entwickelt sind, dass sie allgemein bei uns als Pseudowissenschaft gelten. Gute Metriken für Lieferketten bedürfen unglaublicher Anstrengung. Zu oft werden Metriken und Benchmarks der Einfachheit halber heruntergespielt und vereinfacht, doch genau auf Lasten der eigentlichen Bedeutung, die sie für das Unternehmen haben. Als Faustregel gilt: wenn die Erarbeitung eines Benchmarks keine besonders komplexe Aufgabe für Ihr Lieferkettenteam zu sein scheint, ist es wahrscheinlich, dass die Herausforderung unterschätzt wird.