Abschöpfungsstrategie

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Von Gaël Grasset, Juli 2015

Die Abschöpfungsstrategie (oder Skimmingstrategie) kann als eine Art der Preisdiskriminierung betrachtet werden. Bei der Markteinführung eines neuen Produkts wird anfänglich ein hoher Preis festgesetzt, um den Gewinn zu maximieren, indem man es an „frühzeitige Anwender“ (early adopters) verkauft. Danach sinkt der Preis langsam, um den Gewinn durch den Verkauf des Produkts an andere Arten von Kunden zu maximieren.

Apple ist ziemlich bekannt für seine Abschöpfungsstrategie. Während ein neues iPhone äußerst teuer ist, geht sein Preis nach und nach zurück. So sind Kunden mit hoher Kaufkraft bereit, ein neues iPhone zum Einstiegspreis zu zahlen, während die meisten potentiellen Kunden es sich nicht leisten könnten, das Produkt bei Markteinführung zu kaufen. Dennoch geht der Preis des iPhones ein Jahr nach Einführung so weit zurück, dass mehr Nutzer in der Lage sind, ihn zu erwerben. Der Preis wird jedes Jahr niedriger, so dass immer mehr Kunden sich für ein iPhone entscheiden.

Wirtschaftsprinzip

Jeder Nutzer hat für jedes Produkt einen „Reservationspreis“. Der Reservationspreis oder Vorbehaltspreis stellt die höchste Summe dar, die ein Kunde bereit ist zu zahlen. Hat ein Kunde kein Interesse dran ein bestimmtes Produkt zu kaufen, geht der Reservationspreis gegen Null. Durch die Abschöpfungsstrategie zahlt jeder Kunde seinen Reservationspreis, wobei der Gewinn des verkaufenden Unternehmens gesteigert wird.

Gehen wir davon aus, dass Apple drei Arten von Kunden hat: „frühe Anwender“ (Kategorie 1), „mittlere Anwender“ (Kategorie 2), „späte Anwender“ (die restlichen Kundenkategorien, die darauf warten, dass der Preis zurückgeht, bevor sie sich zum Kauf entscheiden). Der Reservationspreis der drei Kundenarten ist entsprechend p1, p2 und pc, wobei p1 > p2 > pc ist (s. Graph).

Nun gehen wir davon aus, dass Apple einen einzigen unveränderlichen Preis setzt, der sich im Laufe der Zeit nicht ändert, d.h., dass sie die Abschöpfungsstrategie nicht nutzen. Setzt Apple den Preis im Bereich von p1, werden nur die frühen Anwender (Kategorie 1) das Produkt kaufen. Legen Sie den Preis auf p2 fest, werden sowohl Kunden der Kategorie 1 als auch die der Kategorie 2 das Produkt kaufen. Allerdings kaufen die Kunden aus Kategorie 1 das Produkt für den p2 Preis. Sollte der Preis auf pc gesetzt werden, kaufen alle Kunden das Handy für diesen Preis, inklusive Kategorien 1 und 2.

Im unteren linken Graph wird die Produzenten- und die Konsumentenrente veranschaulicht, wenn die Abschöpfungsstrategie nicht angewandt wird und sich Apple stattdessen entscheidet, vom Anfang an den pc Preis festzulegen. In diesem Fall maximiert Apple seine Produzentenrente nicht.


Zwei Graphen stellen die Produzenten- und die Konsumentenrente in zwei Fällen dar, bei denen einmal die Abschöpfungsstrategie angewandt wird und einmal nicht.

Durch die Abschöpfungsstrategie verkauft Apple zuerst das iPhone für p1 und maximiert somit seine Rente bezüglich Kategorie 1. Anschließend verkauft Apple das Produkt für p2. Kategorie 1 hat das Produkt bereits für p1 gekauft und Kategorie 2 wird es für p2 kaufen, also maximiert Apple seinen Gewinn, was Kategorie 2 betrifft. Zuletzt verkauft Apple das iPhone für pc, so dass Kategorie 3 das Handy kauft. Durch die Abschöpfungsstrategie maximiert Apple seine Produzentenrente, indem es etwas Konsumentenrente einbüßt. Dies wird im rechten Graphen gezeigt.

Abschöpfungsstrategie vs. Penetrationsstrategie

Die Abschöpfungs- und die Penetrationsstrategie sind zwei langfristig entgegengesetzte Strategien. Bei der Abschöpfungsstrategie wird erst ein hoher Preis festgelegt, der im Laufe der Zeit zurückgeht, mit dem Ziel, den Gewinn auf lange Frist zu maximieren. Bei der Penetrationsstrategie hingegen wird ein niedriger Preis festgelegt, der nach und nach erhöht wird.

Laut einer Studie von Spann et al bezüglich der Preisstrategien auf dem deutschen Kameramarkt, wird die Abschöpfungsstrategie meistens von etablierten Herstellern auf Märkten mit geringer Wettbewerbsintensität und in Segmenten, mittlerer oder höherer Preisklassen genutzt.

Zur Nutzung der Abschöpfungsstrategie ist eine etablierte und namhafte Marke notwendig, so dass die frühzeitigen Anwender schnell über das neue Produkt erfahren. Sollten frühzeitige Anwender das Produkt bei Markteinführung nicht kennen, kaufen sie es nicht zu dem anfänglichen hohen Preis.

Eine geringe Wettbewerbsintensität auf dem Markt ist auch ein ausschlaggebender Faktor, da, wenn viele unterschiedliche Optionen vorhanden sind, die frühzeitigen Anwender das günstigere (aber gleichwertige) Produkt eines Wettbewerbers kaufen, wodurch die Nachfrage nach dem neuen Produkt mit einem Preis nach Abschöpfungsstrategie praktisch gegen Null tendiert.

Zuletzt ist es auch wichtig zu wissen, dass die Abschöpfungsstrategie am besten in Industriesegmenten der höheren Preisklassen funktioniert. Grund dafür ist der geringe Unterschied, der bei niedrigen Preisen zwischen dem anfänglich höheren und dem tieferen Preis entsteht, der sich kaum auf den Gewinn auswirkt.

Wie bereits im oberen Beispiel mit Apple veranschaulicht, ist die Technologiebranche ein gutes Beispiel für eine Industrie, in der die notwendigen Konditionen für die Abschöpfungsstrategie gegeben sind. Auf diesem Markt findet man viele etablierte Unternehmen (Apple, Samsung, Sony, etc.), geringen Wettbewerb (heutzutage sind insgesamt nur etwa 10 Handyhersteller auf dem Markt), außerdem ist diese Industriesparte für ihre hohen Preise bekannt (der Preis des neuesten iPhones liegt bei etwa 1.000 $)

Grenzen der Abschöpfungsstrategie

Grundsätzlich wird die Abschöpfungsstrategie auf fünf verschiedene Arten begrenzt:

Auf institutioneller Ebene: Die Abschöpfungsstrategie stellt eine komplexe Art der Preisdiskriminierung dar. In vielen Ländern ist die Preisdiskriminierung illegal und könnte daher für Unternehmen verschiedene Risiken mit sich bringen.

Auf Marktebene: Die Abschöpfungsstrategie geht oft mit hohen Margen einher. Da hohe Margen sehr attraktiv sind, werden Wettbewerber auch versuchen, mit demselben oder ähnlichen Produkten auf dem Markt zu gehen, so dass der Abschöpfungseffekt langsam verlorengeht. Die Abschöpfungsstrategie ist eine zeitliche Strategie.

Auf Markenebene: Wenn es auffällt, dass ein Unternehmen für ein Produkt die Abschöpfungsstrategie benutzt, werden Nutzer entweder darauf warten, dass die Preise sinken, oder enttäuscht sein, dass sein, wenn sie das Produkt bereits erworben haben. In beiden Fällen hat dies negative Folgen für das Image der Marke. Ein weiteres Problem, das aus der Abschöpfungsstrategie entstehen kann, ist, dass sie mit hohen Margen einhergeht. Das könnte problematisch werden, da hohe Margen keinen Anreiz, beispielsweise zur Kostenkontrolle, bieten.

Auf Einzelhändlerebene: Bei der Abschöpfungsstrategie wird ein Produkt zu einem Preis verkauft, der mehrmals gesenkt wird, wobei von einem sehr hohen Preis ausgegangen wird, der nach und nach reduziert wird. Dies könnte sich auf den Lagerumschlag auswirken, da immer nur ein kleiner Anteil des gesamten Kundenbestands als Zielpublikum gilt (beispielsweise jedes Mal, wenn der Preis gesenkt wird). So kann beispielsweise nur ein kleines Volumen von Produkten bei Markteinführung verkauft werden, da der Preis für die breite Mehrheit der Anwender in dieser Phase noch zu hoch ist.

Auf Kundenebene: Die Abschöpfungsstrategie wird mit der Zeit mit Preisdiskriminierung assoziiert, weshalb das Produkt auf Dauer langsamer abgesetzt wird.

Wesentliche Literaturangaben

  • Dean J, “Pricing policies for new products”, Harvard business review, 1976
  • Gebhart G. F., “Price skimming paradoxes”, Avances in consumer research, 2006
  • Spann M., Fischer M. & Tellis G. J., “Skimming or penetration? Strategic dynamic pricing for new products”, 2014