Reorder-Point (Supply-Chain)

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von Joannès Vermorel; Letzte Revision: April 2012

Der Reorder-Point ist der Lagerbestand einer SKU, der den Zeitpunkt einer Nachbestellung signalisiert. Der Reorder-Point wird allgemein als die Summe aus Leitnachfrage und Sicherheitsbestand betrachtet. Grundlegend betrachtet ist der Reorder-Point eine Quantil-Prognose der zukünftigen Nachfrage. Die Berechnung eines optimalen Reorder-Points umfasst typischerweise Durchlaufzeit, Service-Level und Bedarfsprognose. Verlässt man sich auf eine native Quantil-Prognose, verbessert sich die Qualität des Reorder-Points für Einzelhandel und Produktionsbetriebe enorm.

Das hier beschriebene Konzept mit dem Namen "Reorder-Point", auch ROP, Meldebestand oder Auslöseschwelle für Neubestellungen genannt.
Beim Reorder-Point handelt es sich um ein wichtiges Konzept, und zwar nicht nur zur Optimierung des Lagerbestands, sondern auch für die Automatisierung des Lagerbestands. In der Praxis ordnen die meisten ERP- und Warenbestandssysteme jeder SKU eine Reorder-Point-Einstellung zu, um eine gewisse Automatisierung des Warenbestandsmanagements zu erhalten.

Quantilschätzung der Nachfrage

Ein häufig unbekannter Aspekt des Lagerbestandsmanagement ist, dass der Reorder-Point eine Quantil-Prognose der Nachfrage für einen der Durchlaufzeit entsprechenden Horizont, repräsentiert. Tatsächlich repräsentiert der Reorder-Point die Lagerbestandsmenge, die mit einer Sicherheit von τ% (dem gewünschten Service-Level), nicht von der Nachfrage überholt wird. Übersteigt die Nachfrage diese Schwelle (Wahrscheinlichkeit dessen beträgt eine 1-τ Häufigkeit, tritt ein Fehlbestand auf.

Native und extrapolierende Quantile

Die Erstellung von Quantil-Prognosenmodelle ist komplex. Aus diesem Grund bieten die meisten Prognose-Software-Programme lediglich Durchschnittsprognosen an. Jedoch sind, wie oben bereits aufgeführt, die Reorder-Points im Grunde Quantil-Nachfrage-Prognosen. Somit besteht die beliebteste Umgehungsmaßnahme für den Mangel an nativen Quantil-Modellen aus dem Extrapolieren von Durchschnittsprognosen als Quantil-Prognosen.

Die Extrapolation basiert generell auf der Annahme, dass der Prognosefehler auf eine Normalverteilung folgt. Unser Leitfaden zum Thema Sicherheitsbestände beschreibt im Detail, wie eine herkömmliche Durchschnittsprognose in eine Quantil-Prognose extrapoliert werden kann. In der Praxis jedoch, wird die Annahme, dass der Fehler normal verteilt wird, nicht genügend bestätigt. Tatsache ist, dass die Normalverteilung:

  • zu schnell auf Null abfällt, was wesentlich schneller ist, als die empirische Verteilung, die im Einzelhandel- und Produktionssektor beobachtet werden kann.
  • absolut reibungslos verteilt wird, während die Nachfrage ganzheitliche Schritte unternimmt. Dies hat vor allem einen negativen Einfluss auf die diskontinuierliche Nachfrage.
  • nicht für hohe Service-Level (in der Praxis, Werte über 90 %) geeignet ist. Tatsächlich gilt, je größer die Entfernung vom Mittelwert (50 %), desto geringer die Genauigkeit der normalen Approximation.

Faustregel: Bevorzugung nativer Quantile

Trotz der zusätzlichen Berechnungen bringen native Quantile wesentliche Vorteile für die Optimierung der Lagerbestandsmenge mit sich, wenn:

  • Service-Level über 90 % betragen.
  • es sich um eine diskontinuierliche Nachfrage, mit weniger als 3 verkauften Einheiten pro Zeitraum (Tag, Woche, Monat, je nach Zeitrahmen) handelt.
  • Großbestellungen eingehen, d. h. wenn ein einzelner Kunde mehr als 1 Einheit auf einmal kauft und dies mehr als 30 % des Verkaufsvolumen ausmacht.

In der Praxis wird ein Reorder-Point-Fehler (siehe Abschnitt unten) generell um mehr als 20 % reduziert, wenn eine dieser drei Kategorien erfüllt wird. Diese Verbesserung kann hauptsächlich durch die Tatsache erklärt werden, dass die Extrapolation, die verwendet wird um eine Durchschnittsprognose in eine Quantil-Prognose zu verwandeln, zum schwächsten Glied der Berechnung wird.

Genauigkeit der Reorder-Points anhand der Pinball-Loss-Funktion

Da es sich bei dem Reorder-Point um nichts anderes als eine Quantil-Prognose handelt, ist es möglich die Genauigkeit dieser Prognose anhand der Pinball-Loss-Funktion zu bewerten.

Eine Reduzierung des Pinball-Loss kann ausschließlich durch verbesserte Prognosen (Quantil oder Extrapoliert) erreicht werden. Generell gilt: Eine Reduzierung von 1 % des Pinball-Loss erreicht eine Reduzierung des Sicherheitsbestands um 0,5 % bis 1 %, während die gleiche Häufigkeit von Fehlermengen beibehalten wird.
Somit wird es möglich mit Ihren derzeit angewandten Verfahren alternative Lagerbestandsstrategien zu bewerten. Reduziert eine alternative Strategie Ihr Gesamtfehleraufkommen, bedeutet das, dass diese Strategie besser für Ihr Unternehmen geeignet ist.

Der Prozess mag Ihnen zuerst etwas verwirrend erscheinen, da wir den Begriff Genauigkeit in einem Zusammenhang anwenden, in dem keine Prognose existiert (z. B. wenn das Unternehmen über kein Prognoseverfahren verfügt). Der Trick dabei ist, dass Soll-Lagerbestände alleine implizite Quantil-Nachfrageprognosen repräsentieren. Die Pinball-Loss-Funktion lässt Sie die Qualität dieser impliziten Prognosen bewerten.

reorder-point-accuracy.xlsx herunterladen

Das oben genannte Microsoft Excel-Datenblatt enthält Informationen zur Bewertung Ihrer Reorder-Point-Genauigkeit anhand der Pinball-Loss-Funktion. Das Datenblatt umfasst verschiedene Eingabespalten:

  • Produktname: ausschließlich zum Zweck der Lesbarkeit.
  • Service-Level: die gewünschte Wahrscheinlichkeit, keine Fehlmenge zu verzeichnen.
  • Durchlaufzeit: die Verzögerung, bis zur Vervollständigung eine Nachbestellvorgangs.
  • Reorder-Point: der Grenzwert (auch bekannt als Min) an dem eine Nachbestellung ausgelöst wird. Bei den Reorder-Points handelt es sich um die Werte, die auf ihre Genauigkeit überprüft werden.
  • Tag N: die Anzahl der an diesem Tag verkauften Einheiten. Die Anordnung dieses Datenblatts ist praktisch, da es nun möglich ist, die Leitnachfrage über die OFFSET-Funktion in Excel (siehe unten) zu berechnen.

Das Datenblatt enthält zudem zwei Ausgabespalten:

  • Leitnachfrage: die Gesamtnachfrage für den Zeitraum mit Beginn am Tag 1 und Ende am Tag N (wobei N der Durchlaufzeit in Tagen entspricht). Hier wird die OFFSET-Funktion verwendet, um eine Summe über eine schwankende Anzahl von Tagen zu erstellen, worbei die Durchlaufzeit als Argument verwendet wird.
  • Pinball-Loss: repräsentiert die Genauigkeit des Reorder-Points. Dieser Wert ist abhängig von der Leitnachfrage, dem Reorder-Point und dem Service-Level. Wir verwenden die IF-Funktion in Excel, um Überprognosen von Unterprognosen unterscheiden zu können.

Aus Gründen der Einheitlichkeit der Analyse ist es wichtig, dass die Eingabeeinstellungen (Reorder-Points, Service-Levels und Durchlaufzeiten) zum selben Zeitpunkt extrahiert werden. In Anlehnung an die in diesem Datenblatt befolgten Konventionen, kann dieser Zeitpunkt entweder ganz am Ende von Tag 0 oder unmittelbar vor Beginn von Tag 1 stattfinden. Diese Einstellungen werden anschließend anhand der Umsatzdaten, die später entstehen, validiert.

Lösung: In den meisten ERPs werden die historischen Werte der Reorder-Points, Durchlaufzeiten und Service-Level nicht gespeichert. Wenn Sie also diese Reorder-Points vergleichen möchten, müssen Sie anfangen, diese Werte aufzuzeichnen. Dann müssen Sie einen Zeitraum abwarten, der die meisten Durchlaufzeiten abdeckt. In der Praxis müssen Sie jedoch nicht warten, bis die längste Durchlaufzeit abgedeckt ist. Um eine aussagekräftige Vergleichsmethode bzw. einen aussagekräftigen Benchmark zu erhalten, können Sie einen Zeitraum festlegen, der circa 80 % der Durchlaufzeiten abdeckt.
Nachdem ein Pinball-Loss-Wert für jede SKU erstellt wurde, berechnen wir die Summe der Pinball-Losses unten rechts im Datenblatt. Aus dem Vergleich beider Methoden zur Berechnung der Reorder-Points geht hervor, dass die Methode, die den niedrigeren Gesamt-Pinball-Loss erreicht, die bessere ist...

Pinball-Loss-Funktion, Fragen/Antworten

Diese Pinball-Loss-Funktion ist mir suspekt. Wurde diese Funktion frei erfunden, um das relative Erfolgsziel von Lokad zu steigern?

Die Pinball-Loss-Funktion ist bereits seit Jahrzehnten bekannt. Wenn Sie der Hypothese zustimmen, dass der Reorder-Point als ein Wert festgelegt werden sollte, der den Bedarf mit einer bestimmten Genauigkeit (dem Service-Level) abdeckt, dann zeigen Lehrbuch-Statistiken deutlich, dass die Pinball-Loss-Funktion die richtige Funktion ist, um Ihre Quantil-Schätzung zu bewerten. Frühe Werke zu dieser Frage stammen aus den späten 70er Jahren. Aktuelle Veröffentlichungen finden Sie beispielsweise in Koenker, Roger (2005) Quantile Regression, Cambridge University Press.

Wie kann man mittels Pinball-Loss die Qualität des Reorder-Points für eine einzige SKU bewerten?

Es ist nicht möglich die Qualität des Reorder-Points für eine einzige SKU anhand eines einzigen Zeitpunkts festzulegen. Es sei denn Ihr Service-Level befindet sich bei circa 50%, enthält der Pinball-Loss starke Abweichungen. Von daher muss ein Durchschnitt der Verlustwerte über mehrere Dutzend unterschiedliche Zeitpunkte festgelegt werden, um eine zuverlässige Schätzung für eine einzige SKU zu erhalten. Für die Praxisanwendung schlagen wir jedoch vor, einen Durchschnittswert der Verluste mehrerer SKU (anstelle von Zeitpunkten) festzulegen. Ein Datensatz aus mehr als 200 SKU ergibt einen relativ stablen Indikator, auch wenn zum Vergleich nur ein einziger Zeitpunkt verwendet wird.

Die Pinball-Loss-Funktion reagiert extrem auf sehr hohe Service-Level. Werden somit sehr hohe Lagerbestände im Fall von sehr hohen Service-Leveln erstellt?

Die Realität des Bestandsmanagements ist, dass das Erreichen eines Service-Leveln von 99,9% einen enormen Lagerbestand erfordert. Tatsächlich bedeutet dies, dass man sich bei 99,9% nicht mehr als 1 Tag mit einem Fehlbestand in einem Zeitraum von 3 Jahren erlauben kann. Unter Verwendung der klassischen Sicherheitsbestandsformel führt ein sehr hoher Service-Level nicht automatisch zu massiven Lagerbeständen. Die Verwendung eines sehr hohen Service-Level in der Formelerzeugt jedoch auch in der Praxis keinen entsprechenden Service-Level. Kurz gesagt bedeutet dass, dass Sie 99,9% in Ihre Software eingeben können, der tatsächliche beobachtete Service-Level jedoch nicht über 98% steigen wird. Diese Situation entsteht durch die Annahme, dass die Nachfrage normal verteilt ist. Quantile reagieren jedoch aggressiver auf hohe Service-Level (d. h. höhere Lagerbestände). Dennoch spiegeln Quantile die Realität akkurater wider. Sehr hohe Service-Level umfassen sehr hohe Lagerbestände. Sie können keinen Service-Level von 100% erreichen. Sie müssen Kompromisse machen.

In Ihrem Beispiel verwenden Sie tägliche Daten. Können auch wöchentliche Daten verwendet werden?

Sind Ihre Durchlaufzeiten lang und können besser in Wochen als Tagen ausgedrückt werden, dann können Sie historische Wochendaten verwenden. Sind Ihre Durchlaufzeiten jedoch durchschnittlich kürzer als 3 Wochen, kann der durch das wöchentliche Aufrunden entstandene Unterschied entscheidend sein. Dann raten wir Ihnen zur Verwendung von Tagesdaten. Tagesdaten können zwar die Datenverarbeitung innerhalb der Excel-Tabelle auf Grund der Menge etwas erschweren. In der Praxis jedoch sollte die Pinball-Loss-Funktion nicht innerhalb einer Excel-Tabelle angewandt werden - es sei denn zum Zweck des Proof-of-Concept. Von Wichtigkeit ist das Einlesen täglicher Daten in das Bestandsoptimierungssystem.

Falsche Annahme: Reorder-Point führt zu großen unregelmäßigen Bestellungen

Das Verlassen auf Reorder-Points sagt nichts über die Qualität des Lagerbestandsmanagements aus. Da Reorder-Points (gewöhnlicherweise durch Softwareautomatisierung) kontinuierlich verändert werden können, kann jede Lagerbestandsstrategie anhand von Ad-hoc-Reorder-Point-Werten, die sich mit der Zeit verändern, repräsentiert werden.

Große und unregelmäßige Bestellungen können in Unternehmen gefunden werden, die Ihre Reorder-Points nicht dynamisch aktualisieren. Das Problem entsteht jedoch nicht durch die Reorder-Points an sich, sondern durch einen Mangel an Softwareautomatisierung, die ein regelmäßiges Aktualisieren dieser Reorder-Points vornehmen würde.

Verschiedene Lieferanten mit unterschiedlichen Durchlaufzeiten

Die mit dem Reorder-Point zu vergleichende Lagerbestandsmenge ist gewöhnlicherweise die Summe des verfügbaren Bestands plus dem bestellten Bestand. Nach erfolgter Bestellung muss der Lagerbestand so behandelt werden, als wäre er bereits unterwegs.

Die Situation kann sich schwierig erweisen, wenn die gleiche Bestellung für mehrere Lieferanten mit unterschiedlichen Lieferterminen und Durchlaufzeiten gilt (unterschiedliche Preise treffen hier meist ebenfalls zu.) Ist dies der Fall kann ein Lieferrückstand durch Bestellung bei einem regionalem Lieferanten vor einer vorherigen Bestellung bei einem entfernten Lieferanten eintreffen.

Um eine Zwei-Lieferanten-Situation eindeutig darzustellen, muss man einen zweiten Reorder-Point für jede SKU erstellen. Der erste Reorder-Point löst eine Lagerauffüllung durch den entfernten Lieferanten aus, (unter der Annahme, dass dieser Lieferant günstiger ist, ansonsten macht eine Bestellung bei diesem Lieferanten keinen Sinn), während der zweite Reorder-Point den regionalen Lieferanten betrifft.

Da der regionale Lieferant über eine kürzere Durchlaufzeit verfügt, ist der zweite Reorder-Point niedriger als der erste. Somit werden automatisch Bestellungen beim regionalen Lieferanten eingereicht, wenn Fehlbestände zu erwarten sind und es für eine Bestellung beim entfernten Lieferanten bereits zu spät ist.

Lokad hat die Lösung

Quantil-Prognosen sind ausgezeichnet für die Berechnung von Reorder-Points in den meisten Einzelhandels- und Herstellungsbetrieben geeignet. Die Stärke des Konzepts kann anhand der Tatsache erklärt werden, dass in der Statistik direkte Bewertungen indirekte Bewertungen übertreffen. Wir behaupten allerdings nicht, dass Durchschnittsprognosen sinnlos sind. Durchschnittsprognosen eignen sich für viele andere Anwendungsbereiche über die reine Berechnung des Reorder-Points hinaus. Beispielsweise bei der Visualisierung von Prognosen sind Quantile schwieriger zu verstehen.